Der linke Patriot – ZUERST! zu Besuch beim libanesischen Politikwissenschaftler Prof. Dr. Dschamal Wakim

5. Dezember 2015
Der linke Patriot – ZUERST! zu Besuch beim libanesischen Politikwissenschaftler Prof. Dr. Dschamal Wakim
International
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Foto: Symbolbild

ZUERST! zu Besuch beim bekannten libanesischen Politikwissenschaftler und Journalisten Prof. Dr. Dschamal Wakim 

In den Straßen von Beirut wachsen die Müllberge in die Höhe. Seit Monaten kommt die Müllabfuhr nicht mehr, es stinkt bestialisch in vielen Straßen der libanesischen Hauptstadt. Fährt man ins Gebirge, sieht man fette, schwarze Rauchschwaden aus Beirut in den Himmel steigen. Manche dieser Müllberge wurden von zornigen Bewohnern angezündet und kokeln bereits tagelang vor sich hin. Der Gestank brennt in der Nase.

Prof. Dr. Dschamal Wakim schüttelt den Kopf, während er durch die Straßen Beiruts geht. „Das hält doch kein Mensch aus.“ Doch Wakim leidet nicht nur am Gestank und am häßlichen Müll. „Das ist nur ein Symptom dafür, was hier alles verkehrt läuft“, zischt er den ZUERST!-Redakteuren entgegen. Was er meint, ist klar: Über den Müll, den ätzenden Gestank und das Ungeziefer beschwert sich so ziemlich jeder hier. Das politische System dahinter, das Wakim für diese Zustände verantwortlich macht, wird dagegen nur von ganz wenigen angegangen. Einer von ihnen ist Dschamal Wakim. Und Kritiker wie er haben es nicht immer leicht.

Wir biegen in die Hamra-Straße in Beirut ein und setzen uns in ein Café. Aus den Lautsprechern dröhnt folkloristischer libanesischer Pop, die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. „Hier läßt es sich aushalten“, sagt Wakim zufrieden. Doch am Nachbartisch wird laut diskutiert. Auch dort geht es um den Müll, der die Stadt langsam unter sich begräbt. Als man dort mitbekommt, daß deutsche Journalisten am Nebentisch sitzen, kommt es zu enthusiastischen Willkommensbekundungen, für die die knappen Englischkenntnisse mobilisiert werden. „Welcome, welcome to Lebanon! Germany great country!“ Auf die Frage, wie man denn das Problem mit den Müllbergen lösen wolle, kommt prompt die Antwort: „Pray for us!“ – „Bete für uns!“ Dschamal Wakim grinst still in sich hinein. Sein Blick verrät: Gott wird nicht vorbeikommen und die Straßen fegen.

Wakim gehört zu den bekanntesten Politikwissenschaftlern im Libanon. An der Libanesischen Universität in Beirut lehrt er als Professor Geschichte und Politik. Im Fernsehen sieht man ihn regelmäßig, manchmal nimmt er an öffentlichen Diskussionsrunden teil, in denen die Fetzen fliegen. Wer im politischen öffentlichen Leben im Nahen Osten steht, der braucht ein verdammt dickes Fell. Schon kleine Meinungsverschiedenheiten eskalieren schnell, und die Diskutanten werfen sich alle möglichen Beleidigungen an den Kopf. Für verzärtelte Intellektuelle und sensible Denker ist dort kein Platz. Dschamal Wakim ist ein hemdsärmeliger Typ, stämmig im Körperbau und nie um eine schlagfertige Retourkutsche verlegen. Der 1972 geborene Libanese wollte zunächst gar nichts Politisches machen, er studierte nach dem Abitur Maschinenbau. „Das war der Traum der Familie“, lacht er. Sein Vater hatte bereits Ingenieur werden wollen, die Ausbildung habe er sich damals aber nicht leisten können. „Die Zeit, die ich mit dem technischen Studium verbrachte, hat mir aber gutgetan“, sagt Wakim. „Ich habe nämlich viel über analytisches Denken gelernt. Das ist ein großer Vorteil auch in der Politikwissenschaft.“ Im Café läuft in der Ecke ein Fernseher, der Ton ist stumm geschaltet. Gerade tobt wieder eine der politischen Debatten. Wenn man dem Geschehen auf der Mattscheibe auch nur einige Minuten lang folgt, merkt man schnell, was Dschamal Wakim mit seiner letzten Bemerkung gemeint hat. Zwei Politiker sitzen sich gegenüber, dazwischen der Moderator. Die Kontrahenten brüllen sich an, einer wirft dem anderen einen Stapel Papiere ins Gesicht. Der wiederum steht auf und setzt sich erst wieder hin, nachdem der Moderator ihn energisch in die Schranken gewiesen hat. Der andere Diskutant lacht und zeigt mit dem Finger auf seinen Gegner. Auch ohne Ton merkt man schnell: Dem Erkenntnisgewinn oder gar der Entscheidungsfindung dienen solche Debatten nicht. Allenfalls sind sie zur Unterhaltung gut. „Analytisches Denken“, wie Dschamal Wakim sagt, würde allen Beteiligten nicht schaden.

Das Café füllt sich mehr und mehr, es geht auf den Nachmittag zu. Die Kellner rasen von Tisch zu Tisch, tragen Kaffeetassen auf ihren riesigen Tabletts herum und legen glühende Kohlestückchen auf die blubbernden Wasserpfeifen um uns herum. Immer wieder wird Wakim erkannt, Leute kommen zu uns an den Tisch und schütteln seine Hand. Neben seiner akademischen Arbeit ist Dschamal Wakim auch als Journalist und politischer Kommentator bekannt. Er ist Autor vieler politikwissenschaftlicher Werke, im Libanon gilt er als Geopolitik-Experte. Sein 2013 erschienenes Buch The Struggle of Major Powers over Syria („Der Kampf der Großmächte um Syrien“) gehört zu den anerkanntesten Werken zum Thema.

Dschamal Wakim stammt aus einer bekannten und nicht unumstrittenen Familie. Und in einem Land wie dem Libanon spielen die Familie und deren Name nach wie vor eine gewaltige Rolle. Der Name kann Türen öffnen oder auch verschließen. Söhne haften für ihre Väter und umgekehrt. Nadschah Wakim, der Vater von Dschamal, ist einer der streitbarsten Politiker des Libanon. Er gründete 1999 die „Volksbewegung“, eine links-nationalistische und säkularistische Partei. Unterstützung genießt er vor allem von Gewerkschaftern, Journalisten und Nationalisten. Nadschah Wakim war 1989 einer der schärfsten Gegner des sogenannten „Abkommens von Taif“, das offiziell den libanesischen Bürgerkrieg beendete, der 15 Jahre lang tobte. Nicht etwa, weil er sich wünschte, daß der Krieg weitergehe, sondern weil er der Ansicht war, daß dieses Abkommen das Land lähmen und neue Konflikte bringen würde. Vor allem die Tatsache, daß der Libanon weiterhin vor allem über die verschiedenen Religionsgemeinschaften in einem Art Proporzsystem organisiert sein sollte, stieß Nadschah Wakim bitter auf. Und der linke Politiker sollte recht behalten. Seit dem offiziellen Ende des Bürgerkrieges schlittert das Land von einer Krise in die nächste. Wirklicher Frieden ist nie eingekehrt. Während Dschamal Wakim und die ZUERST!-Redakteure ihren Kaffee schlürfen, liefern sich radikale Sunniten in der nordlibanesischen Stadt Tripolis heftige Gefechte mit der Armee. Alles im Libanon wird nach einem komplizierten, religionsbasierten Proporzmechanismus entschieden. Oftmals ist es wichtiger, ob man Sunnit, Schiit, Druse oder Angehöriger der vielen anerkannten christlichen Konfessionen ist, und nicht, ob man kompetent für ein Amt oder eine Funktion ist. Die Folgen einer solchen Politik sind jeden Tag spürbar: Stromausfälle, Wasserknappheit, schnell aufflammende Gewalt. Das System schwächt die Infrastruktur und blokkiert jede Art von Entwicklung. Doch die Vertreter der Religionsgemeinschaften wachen mit Argusaugen über den Proporz. Denn das politische System verleiht den Religionsvertretern politische Macht. Daß eine solch undurchsichtige Ordnung Korruption und Vetternwirtschaft Tür und Tor öffnet, ist da nicht verwunderlich. Wer erfolgreich sein will, muß jemanden „kennen“. Und wer jemanden kennt, der muß ihm auch für seine Dienste ein „Bonbon“ geben – sprich: Er muß Bestechungsgeld zahlen. Und wer es in ein hohes Amt schafft, hat vor allem ein Interesse daran, sein Bankkonto zu füllen.

Damit erklärt sich schon fast das stinkende Müllgebirge: Lösungsvorschläge werden vor allem durch die Sturheit der politisch Verantwortlichen verhindert. Dschamal Wakim erzählt von einem Gerücht, daß ein schwedisches Unternehmen, das sich auf Müllverwertung spezialisiert hat, sein Interesse am libanesischen Abfall geäußert habe. Eine kleine Gruppe von Schweden sei nach Beirut gereist, um über den Kauf des Mülls zu verhandeln. Die Idee: Der Müll wird nach Schweden transportiert und dort verwertet. Doch nach einigen Tagen sei die schwedische Delegation entnervt und unverrichteter Dinge wieder abgereist. Der Grund: Angeblich hätten so viele libanesische Amtsträger ihr „Bonbon“ eingefordert, daß das ganze Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich gewesen wäre. Und so wachsen die Müllberge weiter und weiter. Dschamal Wakim muß lachen – allerdings ist es ein verzweifeltes Lachen.

Auch Wakim versteht sich – wie sein Vater – als Linker: Er will einen starken säkularen und sozialen Staat, in dem nicht mehr die Religionszugehörigkeit das Maß aller Dinge ist und in dem die soziale Herkunft keine Rolle spielt. Er will, daß endlich gerechte Löhne bezahlt werden und daß die Korruption bekämpft wird, daß der Einfluß ausländischer Mächte zurückgedrängt wird und daß aus dem Libanon ein blühendes Land wird, das seinen Bürgern eine Perspektive bietet.

Doch der libanesische Politikwissenschaftler hat auch Fragen an die ZUERST!-Redakteure. Was hat Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik eigentlich genau vor? Stimmt es, daß in Deutschland Quoten für Migranten eingeführt werden? Was hat es genau mit „Gender Mainstreaming“ auf sich? Stimmt es, daß man das sogar an den deutschen Universitäten studieren kann? Im Schweinsgalopp geht es durch den ganzen Themendschungel, immer wieder nimmt sich Dschamal Wakim die Brille ab, weil er so lachen muß. Vor allem dann, wenn man dem linken Libanesen erklärt, daß es sich bei all diesen Fragen offiziell um „linke Politik“ in Deutschland handelt: Masseneinwanderung, Multikulti, Ausländerquoten, Gender Mainstreaming. Insbesondere die deutsche Einwanderungspolitik und das Quotensystem lassen ihm keine Ruhe, Gender-Politik scheint ihm hingegen nur wie ein schlechter Witz. „Ihr wißt, daß Ihr Euch mit solchen Maßnahmen selber schadet?“ fragt Wakim ungläubig. „Wenn die deutschen Politiker wissen wollen, wie so ein Quotensystem in der Realität aussieht, sollen sie einfach mal herkommen und hier ein Praktikum machen“, lacht er laut. „Im Ernst, das ist ein politischer Rückschritt.“ Wakim schüttelt wild mit dem Kopf, als hätte er gerade etwas extrem Bitteres gegessen. „Im Ernst, damit richtet Ihr Euer schönes Land zugrunde. Nichts wird mehr funktionieren.“

(…)

Die kleine Stadt Barbara, direkt am Mittelmeer gelegen, wirkt wie eine Oase der Ruhe im Gegensatz zum lauten, stinkenden Beirut. Am kleinen Hafen grillen einige Freunde Wakims, wir werden bei der Ankunft lautstark begrüßt. Das Wasser ist sauber, das Müllgebirge ist weit, weit weg. Auf dem Grill brutzeln frisch gefangene Fische, die Frauen schneiden eifrig Salat zurecht. Auf dem Tisch steht eine Flasche mit Arak – Anisschnaps – ohne Etikett. Das bedeutet – selbstgebrannt. Wakim verschwindet für fünf Minuten und kommt lachend in seiner Badehose zurück. Mit einem gewaltigen Anlauf springt er ins Meer, schwimmt durch die Wellen und winkt. (Manuel Ochsenreiter)

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2 Kommentare

  1. Der Rechner sagt:

    Ansonsten vielen Dank für diesen nicht nur lehrreichen, sondern auch unterhaltsamen Bericht.

    Es fällt mir immer wieder auf, daß die meisten Multikult-Fans tatsächlich Null Ahnung von anderen Kulturen haben, und ihre Ideen vom Islam z.B., oder vom Nahen Osten, aus dem „Stern“ zu beziehen scheinen.

  2. Der Rechner sagt:

    Prof. Dr. Dschamal Wakim sagt: “Die Zeit, die ich mit dem technischen Studium verbrachte, hat mir aber gutgetan”, sagt Wakim. „Ich habe nämlich viel über analytisches Denken gelernt. Das ist ein großer Vorteil auch in der Politikwissenschaft.”
    —–

    Das dachte ich auch immer.

    Bloß bei A. Merkel (Physik) scheint es nicht das geringste genützt zu haben.

    Anstatt Situationen zu analysieren torkelt sie von einem Gemeinplatz zum nächsten.

    Ob das Physikstudium nebst Doktortitel von der Stasi als Belohnung für die gute Arbeit in der Propagandaabteilung der FdJ und als informeller Mitarbeiter arrangiert worden ist?

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