Berlin. Die renommierte regierungsnahe „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) kommt in einer jüngst vorgelegten Studie zum russischen Militäreinsatz in Syrien zu der Einschätzung, Moskau könne sich „nicht nur als Gegenentwurf zum Westen zu präsentieren, sondern vor allem als eine Art Vetomacht, was die zukünftige Gestaltung des Nahen und Mittleren Ostens betrifft“.
Über das militärische Kräftepotential Moskaus in Syrien schreiben die Autoren der Studie, Markus Kaim und Oliver Tamminga: „Rußland hat in den letzten Wochen verstärkt militärische Kräfte auf die Luftwaffenbasis nahe Latakia im Nordwesten Syriens verbracht. Die dort stationierten Marineinfanteristen, Panzer vom Typ T-90, Gefechtsfahrzeuge und Artillerie dienen vor allem dem Schutz der Luftwaffenbasis vor Angriffen durch den IS oder andere Oppositionsgruppen.“ Die Zahl von 300 bis 500 Marineinfanteristen sei ausreichend, um eine solche Basis dauerhaft zu schützen, aber zu klein für eigene Offensiven. Die nach Syrien verlegten Kampfflugzeuge, -hubschrauber und Aufklärungsdrohnen seien „in erster Linie dazu geeignet, Bodentruppen im Gefecht zu unterstützen. Sie dienen also offenbar vor allem dazu, die Operations- und Bewegungsfreiheit syrischer oder anderer Truppen am Boden zu gewährleisten, Gegenoffensiven zu unterstützen und ausgewählte Ziele, auch in der Tiefe des Operationsgebiets, zu bekämpfen“.
Die Moskauer militärische Führung habe aber auch Radargeräte, Flugabwehrraketensysteme und Su-30-Mehrzweckkampfflugzeuge sowie Mittel zum elektronischen Kampf nach Syrien gebracht, heißt es in der SWP-Studie weiter. Dies diene „grundsätzlich der Verhinderung oder Einschränkung gegnerischer Luftkriegsoperationen, dem Schutz der eigenen Kräfte vor gegnerischen Luftangriffen und der Unversehrtheit des eigenen Luftraums“. Und: „Durch den Einsatz dieser Waffensysteme ist es möglich, in einem bestimmten Bereich im Westen und Nordwesten des Landes eine Art Schutzschirm über syrische und russische Streitkräfte aufzuspannen, da die Luftstreitkräfte durch ihre bloße Präsenz eine ernstzunehmende Gefahr für die westlichen Kampfflugzeuge darstellen.“
Damit habe Moskau einen strategischen Trumpf ins Spiel gebracht: „Diese Form der Luftüberlegenheit beeinflußt unmittelbar den Einsatz der Luftkriegsmittel der USA und ihrer Verbündeten und zwingt diese dazu, die eigenen Operationen mit Rußland zu koordinieren, um Zwischen- oder sogar Unfälle zu vermeiden.“ Rußland verfüge damit faktisch über eine Vetomöglichkeit im russisch kontrollierten Luftraum Syriens. „Anders formuliert: Rußland hat durch sein militärisches Vorgehen einen direkten Hebel auf die Flugbewegungen der internationalen Anti-IS-Koalition gewonnen und kann deren militärische Handlungsfreiheit wirksam begrenzen. (…) Auch die Überlegung, Teile der russischen Schwarzmeerflotte in das östliche Mittelmeer zu verlegen, dient diesem Ziel und könnte als Beitrag zu dem Bestreben gedeutet werden, eine ›Anti Access/Area Denial‹-Strategie zu implementieren, also andere militärische Kräfte am Eindringen in ein Operationsgebiet zu hindern oder deren Operationsfreiheit in einem bestimmten Territorium einzuschränken.“
Solche Überlegungen kursieren seit einigen Wochen auch in den Brüsseler NATO-Stäben, wo man die russischen Luftverteidigungskapazitäten im Nahen Osten nicht ohne Sorge sieht.
Die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) berät den Bundestag und die Bundesregierung. Als stellvertretender Vorsitzender sitzt Kanzleramtsminister Peter Altmaier, enger Vertrauter von Bundeskanzlerin Merkel, an führender Stelle im Stiftungsrat. Der Online-Enzyklopädie Wikipedia zufolge zählt die SWP zu den „einflußreichsten deutschen Forschungseinrichtungen für außen- und sicherheitspolitische Fragen“ und zu den größten ihrer Art in Europa, ja „zu einem der führenden Thinktanks der westlichen Hemisphäre“. (mü)