Artikel „Konjunktur für Langfinger“ aus der Juni-Ausgabe des Deutschen Nachrichtenmagazins ZUERST!
Die Zahl der Einbrüche in Häuser und Wohnungen erreicht neue Höchststände. In der Politik herrscht wieder Tatenlosigkeit
Alle dreieinhalb Minuten wird in Deutschland in eine Wohnung oder ein Haus eingebrochen. Zum achten Mal in Folge ist die Zahl der Wohnungseinbrüche gestiegen – auf rund 152.000 im Jahr 2014. Zwar liegt die bundesweite Polizeiliche Kriminalstatistik für das letzte Jahr noch nicht vor, doch die Angaben aus den Ländern sind bereits vorhanden. Insgesamt stieg demnach die Zahl der Einbrüche um etwa zwei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch die Entwicklung ist äußerst uneinheitlich. Deutliche Rückgänge der erfaßten Fälle gab es in Thüringen (minus 17,2 Prozent), Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, leichte Rückgänge in Schleswig-Holstein, Brandenburg und Rheinland-Pfalz. In den anderen zehn Bundesländern stiegen die Einbruchszahlen dagegen teils massiv an.
So explodierten sie in Bayern um erschreckende 30 Prozent, dies allerdings von einem niedrigen Ausgangsniveau aus. Noch immer sei das Risiko, Einbruchsopfer zu werden, in Bayern dreimal geringer als im Bundesdurchschnitt, teilte das Innenministerium in München mit. Auch im Saarland und in Baden-Württemberg nahmen die Einbruchsfälle um fast 20 Prozent zu. Nur einer von zehn Tätern im „Ländle“ werde gefaßt, so die Deutsche Polizeigewerkschaft. Der Fraktionschef der CDU im Stuttgarter Landtag, Thomas Strobl, forderte angesichts der dramatischen Entwicklung die grün-rote Landesregierung zum Handeln auf. Innenminister Reinhold Gall (SPD) konterte mit dem Verweis auf die bundesweite Brisanz des Themas, machte aber auch konkrete Zusagen. Es gebe mehr Geld für die Polizei, und auf den vorgesehenen Abbau von 226 Stellen werde verzichtet.
Welche Ursachen hat der Anstieg der Einbruchskriminalität? „Das Entdeckungsrisiko für Einbrecher in Deutschland ist viel zu gering“, so der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Oliver Malchow im Interview mit dem Internetportal der Nordwest-Zeitung. Die „offizielle“ Aufklärungsquote für 2013 betrug laut Angaben des Bundeskriminalamtes nur dürre 15,5 Prozent. Doch Prof. Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen glaubt, daß sie in Wahrheit noch deutlich niedriger liegt. In München, Stuttgart, Bremerhaven, Hannover und Berlin befragte sein Team etwa 2.500 Opfer von Wohnungseinbrüchen. Ergebnis: In lediglich 2,6 Prozent der Fälle landeten die Tatverdächtigen vor Gericht. Nun sind in Großstädten die Aufklärungsquoten generell niedriger, auf der anderen Seite verhält es sich aber so, daß für die Statistik ein Fall schon als aufgeklärt zählt, wenn die Polizei mindestens einen Tatverdächtigen präsentieren kann – ob der dann verurteilt wird oder nicht.
In der Regel gilt also: Einbruch lohnt sich für die Täter. Gestohlen wird Bargeld und das, was sich schnell zu Geld machen läßt, wie etwa Schmuck oder Elektronik. Die Täter gehen zwar der Erfahrung nach nicht „immer brutaler“ vor, aber immer professioneller, was vor allem damit zu tun hat, daß seit einigen Jahren die organisierte Kriminalität verstärkt in diesem Bereich mitmischt. Verantwortliche und Experten wissen recht genau, um welche Tätergruppen es geht. So stellte Reinhold Gall Ende April in der ARD-Sendung Beckmann zum Thema „Trauma Einbruch – Hilflos gegen Diebesbanden?“ fest: „Wir haben in den zurückliegenden Monaten eine deutliche Zunahme der Dingfestmachung von Tätern, insbesondere aus den Balkanstaaten, aus Rumänien, aber auch aus Georgien.“
Daß die kriminelle Welle auch eine Folge der offenen Grenzen sei, wolle er „jedenfalls nicht per se verneinen“, so der SPD-Politiker. „Es ist schon so: Da, wo es keine Grenzen mehr gibt, bewegt sich auch Kriminalität schrankenlos. Dort gibt es noch Handlungsbedarf. Zweifelsohne.“ Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wie er diesen Handlungsbedarf konkretisiert und vor allem umzusetzen gedenkt. GdP-Chef Oliver Malchow will zwar aufgrund der geringen Aufklärungsquoten nicht behaupten, daß Täter aus dem Ausland überrepräsentiert seien. „Aber alle Indizien sprechen dafür, daß für viele Einbrüche entweder Banden aus dem Ausland verantwortlich sind oder Täter mit ausländischer Herkunft, die sich schon länger in Deutschland befinden.“
Hinzu kommt die Beschaffungskriminalität. Bei etwa 31 Prozent der erfaßten Fälle habe es „Hinweise auf Drogenabhängigkeit oder eine andere Sucht“ gegeben, so Bild Ende April. Die Tricks sind simpel: Geknickte Fahrscheine oder Plastikteilchen werden in den Türrahmen gesteckt – sind sie nach ein oder zwei Tagen immer noch dort, kann damit gerechnet werden, daß niemand zu Hause ist. Oder „scheinbar bettelnde Jugendliche, häufig Sinti und Roma“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, FAS), klingeln tagsüber an der Tür, um zu prüfen, ob die Bewohner daheim sind. Viele Türen und Fenster sind zudem leicht zu knacken, oft genügt ein simpler Schraubenzieher. Hinzu kommt eine gewisse Arglosigkeit nach dem Motto: „Bei mir ist doch sowieso nichts zu holen.“ Falsch: „Längst sind nicht mehr nur die Villa oder das frei stehende Einfamilienhaus mit Garten in Gefahr. Es trifft auch die Wohnung im dritten Stock“, so die FAS.
Auf der anderen Seite enden 40 Prozent der Einbrüche schon im Versuchsstadium, da Türen und Fenster ausreichend gesichert sind. Daß wirksamer Selbstschutz viel zur Prävention beiträgt, ist ein Punkt, auf den die Polizei immer wieder hinweist. So sollte man darauf achten, daß Haus oder Wohnung nie unbewohnt aussehen, also zum Beispiel die Nachbarn bitten, den Briefkasten zu leeren, während man im Urlaub ist. Bundesweit bietet die Polizei rund 260 Beratungsstellen an, in denen sich Bürger kostenlos über mehr Sicherheit für ihr Heim informieren lassen können. Zuweilen schauen sich die Beamten auch direkt vor Ort die Verhältnisse an. „Wir stellen den Leuten dann verschiedene Varianten zur Sicherung dar – die auch preisgünstig sind“, erläutert der Frankfurter Oberkommissar Stefan Hantschmann dem Handelsblatt.
Überhaupt: Der Polizei sind kaum Vorwürfe zu machen. Sie leistet im Rahmen ihrer Möglichkeiten hervorragende Arbeit, gründet zum Beispiel spezielle Ermittlergruppen, wenn sich Einbrüche regional häufen – wie etwa die „EK Dämmerung“ in Krefeld, die sich das letzte Winterhalbjahr über ausschließlich mit Wohnungseinbrüchen beschäftigt hat. Ganz wichtig ist die Zusammenarbeit auf Landes- und Bundesebene, aber auch grenzüberschreitend. Um die Einbruchskriminalität in der Donauregion zu bekämpfen, hat die bayerische Polizei das „Danube Property Crime Project“ entwickelt und Anfang März vorgestellt. Unter diesem gemeinsamen Dach arbeiten Polizisten aus der Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Bulgarien, Rumänien und Serbien zusammen, tauschen Daten aus, um etwa die Reisewege der Banden oder die Absatzstrukturen für das Diebesgut zu ermitteln.
Ebenfalls in Bayern wird derzeit eine spezielle Software getestet – das „Pre Crime Observation System“. Ihr Prinzip besteht darin, aus einer Vielzahl Daten zu vergangenen Einbrüchen bestimmte Muster zu ermitteln und künftige Risikogebiete vorhersagen zu können. Von diesem Prognose-Instrument versprechen sich Polizei und Politik eine Menge. Ansonsten hat die Politik wieder einmal viel versprochen und wenig gehalten. So haben SPD und Unionsparteien in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, die Bürger besser vor Wohnungseinbrüchen schützen zu wollen. Bei wohlklingenden Ankündigungen ist es geblieben, nein, es sind sogar noch weitere dazugekommen. „Wir müssen materielle Anreize für die Bürger schaffen, damit sie den Einbruchschutz in ihrem Haus oder ihrer Wohnung verbessern. Die Sicherungsmaßnahmen müssen steuerlich absetzbar sein“, so CDU-Innenminister Thomas de Maizière gegenüber Bild. Fragt sich, was ihn aufhält.
Nicht besser sieht es in den Bundesländern aus, die ja für die Polizei zuständig sind. Es fehlt an allem: Personal, Fahrzeugen, zeitgemäßer technischer Ausrüstung. Vor allem aber am politischen Willen zu Verbesserungen. Bayern hat kürzlich einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, mit dem zweierlei erreicht werden sollte: erstens die Abschaffung „minderschwerer Fälle“ bei Einbrüchen, für die ein geringerer Strafrahmen vorgesehen ist, zweitens die Einstufung von Wohnungseinbrüchen als schwere Straftaten, womit auch Abhörmaßnahmen gegen Verdächtige möglich wären. GdP-Chef Malchow hält das für eine gute Idee, denn „wenn wir Gespräche dieser Banden abhören dürfen, gelingt es leichter, diesen Netzwerken schneller auf die Spur zu kommen“. Darf er aber nicht, denn der Bundesrat hat Ende März beschlossen, den Gesetzentwurf nicht beim Bundestag einzubringen.
Wenn man der Polizei die nötigen Mittel verweigert, darf man sich über geringe Aufklärungsquoten dann auch nicht wundern. Österreich ist übrigens von der Entwicklung genauso betroffen wie die Berliner Republik. Beim südlichen Nachbarn sind die Einbrüche in Häuser und Wohnungen 2014 um 3,4 Prozent auf 17.109 Fälle gestiegen – der Höchststand seit 2009. Ähnlich stellen sich auch die Hintergründe dar. „Die organisierten Tätergruppen sind mobiler geworden, es gab auffallend mehr Fälle im Westen. Neben Banden aus Serbien und Rumänien schlugen auch Täter aus Chile zu“, zitiert oe24.at Ernst Geiger vom Bundeskriminalamt. Eine beliebte Tageszeit für Einbrüche ist während der Wintermonate die Dämmerung zwischen 17 und 21 Uhr – auch hier gleichen sich die Fakten. Kaum nötig zu erwähnen, daß dasselbe auch für die Ratlosigkeit der Politik gilt. (Steve Lerod)