Budapest. Für den ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, der schon in den letzten Jahren immer wieder gegen Europa und seine Wertewelt stichelte, ist die EU weder ein Vorbild noch ein Erfolgsmodell. Im Gegenteil, unter seiner Führung soll Ungarn jetzt einen möglichst eigenständigen Weg gehen – weg vom Liberalismus der EU.
Jüngst nun wurde Orbán sehr deutlich. Auf einer Rede, die er vor Angehörigen der ungarischen Minderheit im Nachbarland Rumänien hielt, erklärte er geradezu programmatisch: „Die liberale Demokratie ist am Ende. Sie garantiert den ungarischen Familien keinen Wohlstand und keinen Schutz der nationalen Interessen mehr. Der ungarische Staat wird sich nicht weiter an liberale Werte halten.“ Statt westlichen Vorbildern zu folgen, sollten sich die Ungarn anders orientieren.
Auch hier hielt der ungarische Premier, der mit seiner bürgerlichnationalen Fidesz-Partei erst im April bei den Parlamentswahlen ein außerordentlich stattliches Ergebnis einfahren konnte, mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: „Es ist von größter Bedeutung, zu begreifen, wie die Systeme in China, Singapur, Türkei und Rußland funktionieren.“ Alle vier genannten Länder werden derzeit eher autoritär regiert. Westlichen Liberalen sind sie mit ihrem Politik- und Gesellschaftsmodell eher ein Greuel.
Orbáns Rede, die er im rumänischen Baile Tusnad hielt, fiel deutlich aus. Orbán sagte darin nicht nur den sogenannten „westlichen Werten“ den Kampf an, sondern auch der Zuwanderung und der politischen Wühlarbeit ausländischer Nichtregierungsorganisationen, die in den letzten fünfzehn Jahren in zahlreichen früheren Ostblock-Ländern für Regimewechsel verantwortlich gemacht werden. Mit Blick auf die Immigration richtete Orbán an seine Zuhörer die rhetorische Frage: „Wollt ihr wirklich, daß die kommen?“ Und ausländische NGOs bezeichnete er als „vom Ausland bezahlte politische Aktivisten“. Er begrüßte es, daß im Parlament kürzlich ein Ausschuß berufen worden ist, der aus dem Ausland unterstützte Organisationen nach russischem Vorbild beobachten, registrieren und als „ausländische Agenturen“ einstufen soll.
Orbáns Kritiker registrieren mit Erstaunen, daß der Premier diesmal mit offenem Visier auftritt und bei seiner Kritik am Westen kein Blatt mehr vor den Mund nimmt. Jetzt weckt seine demonstrative Anlehnung an den russischen Präsidenten Putin nicht nur Ängste in der EU, daß er sein Land endgültig von den gemeinsamen demokratischen Werten wegführen will. Ebenso stellen sich die Brüsseler Strategen die Frage, ob er außenpolitisch verläßlich bleibt. Dabei ist schon jetzt ersichtlich, daß Orbán nicht die Absicht hat, die von der EU beschlossenen Wirtschaftssanktionen gegen Rußland mitzutragen, die seinem Land nur schaden könnten. „Ich habe nicht vor, ungarische Interessen nur wegen der Ukraine aufs Spiel zu setzen“, erklärte er jüngst. Außerdem kündigte er an, daß Ungarn die in Washington außerordentlich kritisch betrachtete Gaspipeline „South Stream“ weiterbauen werde, die die Ukraine umgeht.
Er wolle so wenig als möglich mit der EU zu tun haben, unterstreicht Orbán. Statt dessen setzt er – auch darin dem russischen Präsidenten Putin vergleichbar – eher auf ein Netz von Geschäftsleuten, Medien und Organisationen, die seine Partei und Politik unterstützen. Dabei haben Orbán und seine Fidesz-Partei schon jetzt keine wirkliche politische Konkurrenz zu fürchten. Die Opposition ist schwach, sie bietet keine ernstzunehmende Alternative. Professor Andrea Peto von der Central European University meint, das sei teilweise auch Orbáns geschickter Politik zu verdanken. Fidesz dringe durch Medien und verschiedene Organisationen tief in die Gesellschaft ein. „Was wir jetzt sehen, ist, daß diese politische Partei eine neue Gesellschaft erschaffen hat.“
Orbán hat daraus auch kein Hehl gemacht. Letztes Jahr etwa hatte er in London erklärt, Ungarn sei „im gesellschaftlichen Sinne eine Art Labor“. Das Experiment ist offenbar auf einem erfolgreichen Weg. (ds)