Straßburg/Brüssel. Vor etwas über zwei Monaten, am 25. Mai, wurde das neue Europaparlament gewählt. Die Wahl brachte einige Überraschungen, viele lange Gesichter bei den Etablierten und enorme Stimmenzuwächse für eurokritische Parteien.
Jetzt, ein paar Wochen später, sind wir schon etwas schlauer. Der Wahlkampf-Pulverdampf hat sich verzogen, und hinter den Kulissen wurde heftigst gekungelt und gemauschelt. Neuer Kommissionschef – mithin einer der mächtigsten Köpfe in der Europäischen Union – ist demzufolge der langjährige Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, während Parlamentspräsident nach wie vor der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz bleibt. Hier verharrt unter dem Strich alles beim alten – beide Spitzenfunktionäre, Schulz wie Juncker, sind jahrzehntelang gediente Eurokraten und Strippenzieher.
Zuletzt nun, Anfang Juli, wurden auch die Ausschüsse neubesetzt. Sie haben zum Teil erhebliche Macht, wie etwa der Wirtschafts- und Währungsausschuß, weil gerade im Wirtschaftsbereich inzwischen mehr als 80 Prozent der nationalen Gesetzgebung in Brüssel gemacht wird. Die nationalen Parlamente können meist nur noch abnicken.
Bei der Besetzung der Ausschüsse zeigte sich: Die Etablierten haben sich mit den Stimmeneinbußen, die sie am 25. Mai hinnehmen mußten, noch nicht abgefunden. Sie kämpfen mit Verbissenheit um jede Pfründe. Das mußte zum Beispiel die in Deutschland von vielen Hoffnungen begleitete „Alternative für Deutschland“ (AfD) spüren, die zumindest in zwei Ausschüssen Ambitionen auf einen Leitungsposten hatte. Immerhin kam die AfD bei der Wahl im Mai auf sieben Prozent und ist mit sieben Abgeordneten im Straßburger Parlament vertreten.
Wie gewonnen, so zerronnen: Weder wurde AfD-Parteichef Prof. Bernd Lucke zum Auschuß-Vize im Wirtschafts- und Währungsausschuß gewählt noch seine Parteifreundin, die Oldenburger Professorin Beatrix von Storch zur Vize-Vorsitzenden im Frauen-Ausschuß. Eine ernüchternde Erfahrung für die Parlaments-Neulinge aus Deutschland – denn offenbar hielt sich trotz langer Vorgespräche niemand an getroffene Absprachen. Immerhin wurde der stellvertretende Bundessprecher der AfD, Hans-Olaf Henkel, in das Führungsgremium des Industrie-Ausschusses gewählt.
Das ist allerdings gar nicht so wichtig. Wichtig ist und bleibt, daß die Stimme der Euro- und EU-Kritiker im neuen Straßburger Parlament ungleich lauter zu vernehmen sein wird, als noch in der letzten Legislaturperiode. Das zeigte sich sogleich in der ersten Plenarwoche in Straßburg Anfang Juli, als sowohl der britische EU-Kritiker Nigel Farage, als auch die mit 25 Prozent der Stimmen ins Parlament gewählte Vorsitzende des französischen Front National, Marine Le Pen, fulminante Auftritte hinlegten und Präsident Schulz und Co. arg in Verlegenheit brachten.
Solche Szenen werden sich in den kommenden fünf Jahren noch viele Male wiederholen. Rund ein Viertel der Sitze im neugewählten Parlament ging am 25. Mai an rechte oder zumindest EU-kritische Parteien. Das ist ein politisches Gewicht, das sich nicht ignorieren läßt und sich in vielfältiger Weise bemerkbar machen wird. Die Etablierten werden es an allen Ecken und Enden schwerer haben.
Und zu tun gibt es mehr als genug. Vor allem wird es darum gehen, den völker- und bürgerfeindlichen Zentralisierungsprozeß der EU aufzuhalten und zahlreiche Kompetenzen, die sich der Brüsseler Moloch in den letzten Jahrzehnten auf Kosten der Völker angeeignet hat, wieder in nationale Zuständigkeit zurückzuholen. Nicht nur Marine Le Pen kündigte es mehr als einmal programmatisch an: Die Ent-Souveränisierung der Völker muß dringend gestoppt werden. Überlebenswichtige Kernbereiche der Politik dürfen nicht länger realitätsblinden Technokraten überlassen bleiben – ein Blick auf das aktuelle Zuwanderungsdesaster und die Mitschuld verantwortungsloser EU-Bürokraten daran sagt genug. Die nächsten fünf Jahre in Straßburg werden spannend. (ds)