Berlin. „Riesenrespekt“ hat die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor ihrem neuen Amt, erklärte sie in einem Interview. „Viel und hart“ werde sie sich einarbeiten müssen.
Daß Politiker ungedient und vollkommen ohne jede Fachkompetenz in das Amt des Verteidigungsministers bestellt werden, ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. Ursula von der Leyen aber ist die erste Frau, die in Deutschland dieses Amt übernimmt, und wird schon deshalb von der Truppe mit einiger Skepsis angenommen – die unter dem Strich mehrheitlich negativen Erfahrungen mit Frauen in der Bundeswehr leisten dazu sicherlich ihren Beitrag. Mit skeptischen Blicken wird von der Leyen aber auch hinsichtlich ihres vorherigen Ministerpostens betrachtet: Als ehemalige Familienministerin war sie mit „weichen“ Themen betraut – viele Soldaten sehen nun einen ähnlichen Kurs auf die Bundeswehr zukommen. Nach einigen Frotzeleien auf ihre Kosten – von „Truppenursel“ war unter anderem die Rede – sind die Soldaten allerdings durchaus aufgeschlossen und bereit, der Ministerin eine Chance zur Bewährung zu geben. Ihr Werben um den „Rückhalt der Bevölkerung“ für die Bundeswehr in einem ZDF-Interview kam gut an. Und von der Leyen, die der Truppe bei ihrem ersten Besuch in Afghanistan nur eine Woche nach Amtsantritt versicherte, „von ganzem Herzen stolz und dankbar“ dafür zu sein, „Ihre Verteidigungsministerin sein zu dürfen“, scheint tatsächlich fest entschlossen, etwas zu bewirken.
Zahlreiche Maßnahmen hat die neue Ministerin bereits angekündigt. Sie wolle die Bundeswehr als Arbeitgeber hoch attraktiv machen, damit diese im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft bestehen könne. Dazu muß die Truppe nach Ansicht der Ministerin in erster Linie familien- und frauenfreundlicher werden. Daß die Bundeswehr seit Aussetzung der Wehrpfl icht und der daraus resultierenden desolaten Nachwuchslage ihr Werben um junge Soldaten intensivieren muß, steht außer Frage. Der Kurs der Ministerin aber ist höchst zweifelhaft .
Ihre Pläne sind umfangreich: Mehr Krippenplätze und sogar Tagesmütter in Kasernen, die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit – und überhaupt mehr Flexibilität bei den Dienstzeiten –, „Lebensarbeitszeitkonten“ für die Nutzung von Freizeitausgleich sowie heimatnahe Stationierungen und weniger Versetzungen sind nur einige der Maßnahmen, die die Ministerin nach ihrem Amtsantritt angekündigt hat. Nun sind die Verbesserung der Vereinbarkeit von Dienst und Familie sowie die heimatnahe Stationierung zweifellos wichtig und würden den Soldaten unmittelbar zugutekommen. Gleichzeitig ist die Bundeswehr aber eben kein Arbeitgeber wie jeder andere, das Soldatenhandwerk kein x-beliebiger Job. Von der Leyen betont zwar, daß ihr das „vollkommen klar“ sei – ob aber Teilzeitarbeit sich letztlich mit der nötigen Leistung im Dienst und der Einsatzbereitschaft der Soldaten vereinbaren läßt, ist mindestens fraglich.
Während die Familienfreundlichkeit einen überdimensionierten Schwerpunkt in den Äußerungen und Ankündigungen der Ministerin nach Dienstantritt bildete, blieben andere – nicht minder bedeutende Themen wie Rüstungsfragen, Einsätze und Ausrichtung der Streitkräfte zunächst auf der Strecke. Dies verrät die Prioritäten von der Leyens, die mithin nicht zu Unrecht als Familienministerin in Uniform oder als „Oberste Truppenbetreuerin“ kritisiert worden ist. „Aus verteidigungspolitischer Sicht ist das erste größere Interview der neuen Verteidigungsministerin eine Enttäuschung“, konstatiert denn auch der Fachjournalist Thomas Wiegold.
Hinsichtlich familienfreundlicher Annehmlichkeiten gilt es, beim Militär ebenso ein gesundes Maß zu finden, wie beim Werben um Nachwuchs: Eine bereits unter dem ehemaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) verabschiedete Weisung, nach der Rekruten in der Grundausbildung täglich acht Stunden ausschlafen, in gemütlichen Zwei- bis Viermannstuben mit dem „besten verfügbaren Mobiliar“ untergebracht und nur allmählich nach und nach an den harten Dienstalltag herangeführt werden sollen, liest sich beinahe wie Satire. Die Bemühungen, freiwillig Wehrdienstleistende nicht zu vergraulen – ein Drittel der Freiwilligen quittiert vorzeitig den Dienst –, dürfen letztlich nicht dazu führen, Leistungsbereitschaft und Qualität der Truppe zu untergraben, indem Anforderungen bis ins Bodenlose gesenkt werden. Das Motto scheint zu sein: Freiwillige um jeden Preis. Diejenigen, die aus mangelndem Leistungswillen sowie physischer oder psychischer Überforderung vorzeitig ausscheiden, könnten auf diese Weise zwar vielleicht tatsächlich gehalten werden – nur profitiert die Truppe von solchen Freiwilligen nicht, im Gegenteil. Neue Auslandseinsätze: „Leben oder Tod“
Gleichzeitig will von der Leyen das Engagement der Bundeswehr in zahlreichen Auslandseinsätzen verstärken, wie schnell deutlich wurde, als die Ministerin dann auch zu sicherheitspolitischen Fragen das Wort ergriff . Das dürfte nicht nur der gewünschten Familienfreundlichkeit abträglich sein, sondern könnte auch die Truppe in neue internationale Abenteuer stürzen. Es werde um Entscheidungen gehen, „die Leben oder Tod bedeuten können“, stellte die Ministerin bereits klar. Vor Soldaten der 1. Panzerdivision erklärte von der Leyen, die Soldaten im Einsatz trügen dazu bei, daß „die Stimme Deutschlands in der Welt Gehör findet“. Deutsche Interessen werden bei den aktuellen Einsätzen der Bundeswehr allerdings nur in den allerwenigsten Fällen vertreten. In Aussicht gestellt hat die Ministerin bereits weitere Einsatzkräft e für die verschiedenen Missionen in Afrika: Lufttransport, medizinische Versorgung und Ausbildungskräfte könne Deutschland „ohne weiteres liefern“. Dabei spricht von der Leyen als Voraussetzung für verschiedene deutsche Beiträge von „absolut sicheren Bedingungen“ – das ist Schönfärberei und wirkt überdies absurd, gilt die eskalierende Gewalt z.B. in der Zentralafrikanischen Union doch erst als Begründung für die militärische Intervention.
Von einer Überlastung der Bundeswehr durch Einsätze in aller Welt will von der Leyen hingegen nichts wissen – obwohl Experten inklusive des Wehrbeauftragten des Bundestages seit Jahren immer wieder genau davor warnen. Die Ministerin meint dagegen, angesichts der Kapazitäten der Truppe seien mehr Einsätze „durchaus ohne weiteres machbar“. Der Wehrbeauftragte wollte das so allerdings nicht stehenlassen und stellte klar, daß die Belastung insbesondere einsatzwichtiger Spezialisten extrem hoch sei. Grundsätzlich müsse eine dauerhaft e Überlastung der Soldaten verhindert werden.
Auf der Münchener Sicherheitskonferenz machte von der Leyen hinsichtlich verschiedener internationaler Krisen und Konflikte sowie damit verbundener möglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr dessen ungeachtet deutlich: „Abwarten ist keine Option“, die Bundesregierung wolle ihre „internationale Verantwortung“ wahrnehmen. Gleichzeitig will die Ministerin aber „auf keinen Fall“ das „gesamte militärische Spektrum einsetzen“. Auch das wirft Fragen auf. Wenn deutsche Soldaten schon in Konfl ikten auf aller Welt eingesetzt werden, dann müssen auch alle Konsequenzen daraus gezogen werden. Halbherzoge Alibi-Einsätze zum politischen Wohlgefallen der Verbündeten gehen ansonsten zu Lasten der eingesetzten Soldaten – im schlimmsten Fall mit tödlichen Konsequenzen.
Dieser Artikel erschien in der „Deutschen Militärzeitschrift“ (DMZ) Nr. 98 –
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