Berlin. Weltmeister zu sein, ist in der Regel ein Grund zur Freude. Deutschland ist Export-Weltmeister, es hat im vergangenen Jahr mit einem Überschuß von rund 200 Milliarden Euro einen neuen Rekord aufgestellt und läßt sogar Länder wie China und Saudi-Arabien hinter sich.
Seit über 60 Jahren führt unser Land mehr Waren aus als ein, mit Fleiß, Kreativität und Qualität macht es damit seine Rohstoff-Armut wett. In den letzten Jahren verstärkt sich jedoch die Kritik an Deutschlands ökonomischer Potenz. Die USA, der Internationale Währungsfonds und die EU-Kommission beschweren sich in schöner Regelmäßigkeit, daß Deutschlands Exportstärke die wirtschaftlichen Ungleichgewichte fördern und zu Lasten anderer Länder gehen würde.
Anfang März war es wieder mal soweit. Die EU-Kommission beanstandete, die anhaltenden deutschen Exportüberschüsse stellten „ein Risiko für die europäische Wirtschaft dar“, so Tagesschau.de. Vor allem die Krisenländer müßten das Ungleichgewicht mit höheren Schulden bezahlen. Die Bundesregierung wies die Kritik umgehend zurück. Wie Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin sagte, gäbe es keinerlei Anzeichen dafür, daß das deutsche Export-Plus anderen EU-Ländern schaden würde. In diesem Tenor hatten auch frühere Bundesregierungen immer reagiert, wenn Deutschland mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wurde. Bahnt sich jetzt ein Kurswechsel an? Die Süddeutsche Zeitung zitierte Anfang März aus einem internen Papier des von Sigmar Gabriel (SPD) geführten Bundeswirtschaftsministeriums.
Dort heißt es, so das Blatt, daß „exzessive und dauerhafte Ungleichgewichte“ in den Handelsbilanzen einzelner europäischer Staaten „schädlich für die Stabilität der Euro-Zone“ seien. Genau das meint auch die EU-Kommission, die einen Leistungsbilanzüberschuß von mehr als sechs Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung als Risiko einstuft. Deutschland übertrifft diesen Wert seit 2006. Knickt man in Deutschland jetzt wieder mal vor der EU-Bürokratie ein – und das trotz aller Widersprüche? Es darf an dieser Stelle daran erinnert werden, daß es seinerzeit eines der stärksten Argumente für die Einführung des Euro war, daß dieser dem deutschen Außenhandel nutzen würde. War dieser Nutzen jetzt etwa zu groß?
Immerhin regte sich lautstarker Widerspruch, insbesondere aus der Wirtschaft und dem ihr eng verbundenen Flügel der Unionsparteien. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten stellte gegenüber Handelsblatt Online klar: „Wenn unsere Produkte im Ausland besonders nachgefragt werden, ist das ein Zeichen für die Qualität der Produkte, die unsere Unternehmen herstellen. Das dürfen wir uns nicht kaputtmachen lassen.“ Sein Fraktionskollege Klaus-Peter Willsch pflichtete ihm bei: „Früher waren wir stolz darauf, Exportweltmeister zu sein, heute sollen wir uns für unseren eigenen Erfolg, unsere eigenen Qualitätsprodukte schämen. […] Mir ist unbegreiflich, wie weit die deutsche Selbstverachtung mittlerweile um sich greift.“
So berechtigt diese deutlichen Worte sind, muß auf der anderen Seite auch festgehalten werden: Niemand – auch die EU-Kommission nicht – fordert eine Drosselung der deutschen Exporte. Als Lösung wird vielmehr eine Belebung der Binnennachfrage favorisiert – durch mehr Konsum und höhere Investitionen. Das würde dann auch zu einer Steigerung der Importe führen. Insbesondere Arbeitnehmervertreter weisen darauf hin, daß Deutschlands Exportstärke auch durch Lohnverzicht und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors erkauft wurde. Die Unternehmensgewinne seien gestiegen, während die Reallöhne seit dem Jahr 2000 sinken. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel sieht den Ausweg „in der Erhöhung der Binnenkaufkraft: Investitionen und Löhne“, wie er Handelsblatt Online mitteilte.
Wie sich herausstellte, ist Deutschland ohnehin schon auf dem Weg, die Ungleichgewichte zu verringern. Die Kritik der EU-Kommission kam damit zur Unzeit. Denn im Handel mit den übrigen EU-Staaten schrumpfte der deutsche Überschuß von 118,2 Milliarden Euro im Jahr 2012 auf 108,2 Milliarden Euro im Jahr 2013. So stiegen zum Beispiel die Importe aus den Niederlanden kräftig, auch aus Frankreich und Österreich bezog Deutschland mehr Güter. Teils stark rückläufi g waren dagegen die Einfuhren aus Nicht-EU-Staaten wie etwa Rußland, China, Indien und den USA. „Die Überschüsse erzielt Deutschland zunehmend mit Handelspartnern außerhalb und nicht mehr innerhalb der Euro-Zone“, erklärte der Wirtschaftsweise Christoph M. Schmidt gegenüber Zeit Online. „Das Argument, Deutschland bringe seine Euro-Partner mit seinem Exportüberschuß in Bedrängnis, trifft daher nicht zu.“
Dieser Artikel erschien in ZUERST! Ausgabe 4/2014 –
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