Zweiter Weltkrieg: Warum Rom kein zweites Stalingrad wurde

23. Juni 2014
Zweiter Weltkrieg: Warum Rom kein zweites Stalingrad wurde
Geschichte
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Foto: Symbolbild

Rom. Vor 70 Jahren zogen die Alliierten kampfl os in die „Ewige Stadt“ ein – Deutsche, Amerikaner und Vatikan einigten sich hinter den Kulissen

Im fünften Kriegsjahr, 1944, war die Lage für Deutschland an den meisten Fronten ziemlich angespannt. Im Osten befindet sich die Wehrmacht in kontinuierlichem Rückzug, im Westen wird fieberhaft am Ausbau des Atlantikwalls gearbeitet, weil mit der seit langem erwarteten alliierten Invasion zur Errichtung der „Zweiten Front“ gerechnet werden muß, der Bombenkrieg gegen die deutschen Städte nimmt verheerende Ausmaße an. Und im Süden drücken die Alliierten seit ihrer Landung bei Salerno im September 1943 unvermindert gegen die deutschen Linien.

Nur einmal kommt die Front für längere Zeit zum Stillstand, etwa hundert Kilometer südlich von Rom, im Tal des kleinen Flüßchens Garigliano. Hoch über dem Tal befindet sich das Zentrum der deutschen Verteidigungslinie, die sich quer über den gesamten italienischen Stiefel zieht: die uralte Benediktinerabtei Monte Cassino. Sie gilt ob ihrer Kunstschätze und ihrer jahrhundertelangen Mönchstradition als „Wiege des Abendlandes“.

Die deutsche Verteidigung hat Monte Cassino aus der Front ausgespart, will nicht, daß das Kloster durch Kämpfe oder Bombardierung Schaden nimmt. Wehrmachtangehörigen ist das Betreten des Klosters, auch zu Besuchszwecken, streng verboten. Nur einmal haben deutsche Soldaten die Abtei betreten, um die unermeßlich wertvollen Kunstschätze zu bergen und in die Obhut des Vatikans zu bringen. Es nützte nichts. Am 15. Februar 1944 haben 299 alliierte Bomber 453 Tonnen Bomben auf das Kloster geworfen und es in eine Trümmerwüste verwandelt.

Wenige Tage später, in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar, vollendete dann die Artillerie des neuseeländischen Generals Freyberg, Jahre zuvor Verteidiger von Kreta, in einem fünfstündigen Trommelfeuer mit rund 50.000 Granaten das Zerstörungswerk. Erst jetzt gibt es auch für die deutsche Seite keinen Hinderungsgrund mehr, die Trümmerstätte zur Verteidigung zu nutzen. Deutsche Fallschirmjäger, die „Grünen Teufel“, besetzen jetzt Monte Cassino und halten die Front noch monatelang gegen jeden Sturmangriff der anrennenden Amerikaner, Briten, Franzosen, Gurkhas und Polen.

Erst im Mai wird der Monte Cassino geräumt, nachden den Alliierten links und rechts Einbrüche gelungen sind und ihre linke Flanke an der Küste entlang stößt. Um der Einschließung zu entgehen, setzen sich die deutschen Verteidiger nach Norden ab, auf Rom zu.

Aber es droht kein Kampf um Rom, kein neues Stalingrad. Denn unausgesprochen und auf stillen
Kanälen im Schatten der Vatikan-Diplomatie sind die kriegführenden Parteien darin übereingekommen, daß um die Ewige Stadt nicht gekämpft werden soll. Wenigstens Rom soll das Schicksal des Klosters Monte Cassino erspart bleiben. Papst Pius XII. weigert sich hartnäckig, Rom zu verlassen, er sieht sich als Geisel für die Zivilbevölkerung, der er Bombardierung und Verluste im drohenden Straßenkampf ersparen möchte.

Auch deutscherseits möchte man Rom deshalb am liebsten zur „Offenen Stadt“ erklären, doch die Alliierten versuchen dies nach Kräften zu hintertreiben, indem sie die römische Bevölkerung trotz des bereits angekündigten Abzugs der Wehrmacht auffordern, mit Waffengewalt gegen die deutschen Soldaten vorzugehen. Auch haben die Amerikaner bereits mit der Bombardierung des Stadtteils San Lorenzo begonnen, wo sie deutsche Truppen und Nachschubzentren vermuten.

Trotzdem verzichten die deutschen Truppenteile, auch auf die Gefahr eigener Einbußen hin, auf die Sprengung der südlich der Stadt gelegenen historischen Tiberbrücken. Vor allem dem SS-Gruppenführer Karl Wolff kommt bei alledem das Hauptverdienst zu, bei Generalfeldmarschall Kesselring die Erklärung Roms zur „Offenen Stadt“ erwirkt und so Schlimmes verhindert zu haben. Wolff ist auch der einzige bekannte SS-Offizier, der am 10. Mai eine Audienz beim Papst erhalten hat.

So bleibt Rom der Kampf erspart. SS-General Wolff läßt alle deutschen Einheiten bis auf eine kleine Nachhut abrücken. Am 4. Juni 1944, vor 70 Jahren, ziehen die Alliierten kampflos in der Ewigen Stadt ein. (ds)

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