Modell für den Bund?

23. Januar 2014

Foto: I. Lepka/CDU Hessen

In Hessen ging die erste schwarz-grüne Koalition in einem Flächenland an den Start

Hessen wird erneut zum politischen Labor. Während im Bund die Große Koalition unter Dach und Fach gebracht wurde, kamen in Schlangenbad, einem kleinen Ort in der Nähe von Wiesbaden, fast zeitgleich die Bündnisverhandlungen zwischen CDU und Grünen zu einem erfolgreichen Abschluß. Stolz präsentierten der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der zwanzig Jahre jüngere Grünen-Chef Tarek A-Wazir den 106seitigen Koalitionsvertrag mit dem nichtssagenden Titel „Verläßlich gestalten – Perspektiven eröffnen“. Kurz darauf segneten die Gremien das Bündnis ab – ein kleiner Parteitag der CDU einstimmig und eine Mitgliederversammlung der Grünen mit immerhin 74,2 Prozent.

Damit hat Hessen jetzt als erstes Flächenland eine schwarz-grüne Koalition, die nach dem Wunsch der Partner für die nächsten fünf Jahre halten soll. Den bisherigen Versuchen in Hamburg und im Saarland (unter Einschluß der FDP) war keine lange Lebensdauer beschieden, allerdings haben sich auf kommunaler Ebene – darunter in Frankfurt am Main – verschiedene schwarz-grüne Bündnisse als recht nachhaltig erwiesen. Hessen wagt also das Experiment. 1985 wurde hier unter Holger Börner (SPD) und Joschka Fischer (Grüne) auch die erste rot-grüne Koalition in einem Flächenland geschmiedet. Zwar hielt sie keine 500 Tage, doch Rot-Grün als Modell stand trotzdem fortan auf der Tagesordnung.

Könnte das mit Schwarz-Grün ähnlich laufen? „Wenn wir hier fünf Jahre lang stabil und erfolgreich regieren, hat das natürlich Signalwirkung über Hessen hinaus“, frohlockte Volker Bouffier gegenüber dem Spiegel. Und Focus Online zitiert den Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg mit den Worten: „Funktioniert Schwarz-Grün in Hessen, funktioniert es überall.“ Das ist insofern nicht abwegig, als es in der jüngsten Zeit quer durch die Republik Annäherungen und Nettigkeiten von beiden Seiten gegeben hat (siehe auch ZUERST! 4/2013). In Hessen galten dagegen die Fronten als besonders verhärtet, die Grünen sahen die Union als knochenkonservative „Stahlhelm“-Truppe an, wofür Namen wie Alfred Dregger und Roland Koch stünden.

Noch kurz vor den Wahlen im September haben sich Schwarze und Grüne im Landtag massiv angegiftet. „Wo wir den mündigen Bürger sehen, wollen Sie von den Grünen bevormunden, entmündigen und gängeln“, pöbelte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion Holger Bellino in Richtung der Grünen. Damit wolle die CDU nur von ihrer „miserablen Bilanz“ ablenken, schallte es zurück. Und nun? Alles vergeben und vergessen. Volker Bouffier schwärmt sogar von einer „Koalition gemeinsamer Werte“ und ist inzwischen mit Tarek Al-Wazir per Du. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) ist das neue Bündnis „nichts anderes als eine Zäsur für die Bundesrepublik“.

Jedenfalls zeigt sich, was mittlerweile möglich ist, wenn es den Beteiligten hauptsächlich ums Regieren geht. In zentralen Fragen – etwa in der Wirtschaftspolitik – bleibt der Koalitionsvertrag deshalb auch vage und unverbindlich. Klar ist nur, daß gespart werden soll, etwa bei den Beamten oder bei teuren Hochschulprojekten, die nun zeitlich „gestreckt“ werden sollen. Das Streitthema Frankfurter Flughafen wurde mit einem Kompromiß zugunsten längerer „Lärmpausen“ beigelegt. Alles nicht genug, befindet ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung. Die hessischen Grünen stünden mit leeren Händen da, „sie haben sich politisch selbst entkernt“.

Tatsächlich? Schaut man sich die Verhandlungsergebnisse an, war die Partei zumindest bei einem ihrer Kernthemen durchaus erfolgreich. So soll ein spezieller Integrationsplan erstellt werden, um weitere Fortschritte bei der Einbindung von Einwanderern zu erzielen. Die Residenzpflicht für Asylanten wird gelockert. Und für die Grünen besonders erfreulich: Sie bekommen im CDU-geführten Sozialministerium einen Staatssekretär für Integration und Anti-Diskriminierung. Mehr Ganztagsbetreuung, Namensschilder für Polizisten – die Grünen haben durchaus Akzente setzen können. Das wiederum wäre nicht möglich gewesen, wenn die angeblich so konservative Hessen-CDU nicht ein gehöriges Maß an programmatischer „Flexibilität“ gezeigt hätte.

„Die Konservativen haben sich Themen wie Integration, gemeinsames Lernen und Homo-Ehe geöffnet und verbreiten in der Mehrheit schon lange nicht mehr den Muff der Spießigkeit“, hat n-tv.de beobachtet. „Man muß nicht mehr das katholische Familienbild leben, um in der CDU Karriere zu machen.“ Nach links offen und inhaltlich höchst beliebig, kann diese CDU in nahezu jeder Konstellation an die Regierung kommen – und nur darum geht es ihr ja.

Steve Lerod

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