Brüssel/Washington. Die Aufdeckung der NSA-Abhöraktionen drängten Nachrichten über das geplante Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union in den Hintergrund.
Zwischenzeitlich war die Stimmung in der deutschen Bevölkerung den USA gegenüber derart ablehnend, daß das Freihandelsabkommen sogar von einigen Beobachtern wieder in Frage gestellt wurde. Doch daran wurde in Wirklichkeit natürlich niemals gedacht, man wollte nur in der Vorwahlzeit das Volk ruhig- und von allen Wirtschaftsthemen tunlichst fernhalten.
In der vorletzten Novemberwoche fand in Brüssel ein geheimes Treffen statt, bei dem es um das künftige Vorgehen in bezug auf das Freihandelsabkommen mit den USA ging. Dabei wurden alle EU-Mitgliedstaaten auf eine einheitliche Propaganda eingeschworen. Demnach hätten alle EU-Staaten „mit einer Stimme“ zu sprechen und die Öffentlichkeit ausschließlich über die Vorteile des TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) zu informieren. Auch werde man alle kritischen Stimmen „einem Monitoring unterziehen, um rechtzeitig und proaktiv auf allen Kanälen inklusive des Internet und der Sozialen Medien reagieren zu können“.
Geplant ist das Freihandels-Abkommen als erster Schritt zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung, und es soll beispielgebend für alle EU-Partner und auch China sein.
Das Abkommen sieht vor, daß die Unterzeichnerstaaten ihre Gesetze den darin enthaltenen Vorgaben anpassen. So müßten zur Gewährleistung der angestrebten „Harmonisierung“ die Unterzeichnerstaaten sicherstellen, daß staatliche Regeln die im Abkommen vereinbarten Vorgaben einhalten. Betreffen könnte das auch die nicht handelsbezogenen Bereiche wie die Sicherheit und Kennzeichnung von Lebensmitteln, das Gesundheitswesen, Energieversorgung, Patente und Urheberrechte, Emissionswerte, die Rechte und die Arbeitsmöglichkeiten von Immigranten, die öffentliche Auftragsvergabe und vieles andere mehr. Dies könnte zu einem Untergraben des Verbraucherschutzes führen. Doch der EU-Chefunterhändler Ignacio Garcia Bercero und sein US-Kollege Dan Mullaney beschwichtigten Kritiker, es werde keine Senkung der Sicherheitsstandards geben.
Noch bevor sie überhaupt ihre eigentliche Regierungstätigkeit aufgenommen hat, einigte sich die Große Koalition bereits im Entwurf zum Koalitions-Vertrag zum TTIP: „Bei der Koordinierung unserer Wirtschaftspolitik im europäischen Rahmen behalten wir auch die globale Dimension fest im Blick. So werden wir beispielsweise den Abschluß eines Freihandelsabkommens mit den USA vorantreiben.“
Die Gefahr, daß über sogenannte Investitionsschutz-Klauseln das gesamte deutsche Recht ausgehebelt wird und der deutsche Steuerzahler unter Umständen unermeßliche Schadenersatzforderungen zu gewärtigen hat, wird im Koalitionsvertrag ignoriert. Zwar stehen parlamentarische Kontrolle und der gerichtliche Schutz „außer Frage“, aber es gebe „zugelassene, begründete Ausnahmen“. Wie diese konkret aussehen, darüber wird geschwiegen. Es dürfte sich aber um sogenannte „Investment-Schutzklauseln“ handeln.
Ein Beispiel für diese wäre: Wenn eine amerikanische Firma in Deutschland einen Standort eröffnen will, muß sichergestellt sein, das die Investitionen unabhängig von jeglicher Kontrolle der Regierung oder des Parlaments sind. Somit können sich nun multinationale Konzerne praktisch unbegrenzt an Staaten schadlos halten. Sie müssen lediglich behaupten, daß ihre Investments durch falsche Behörden-Entscheidungen, neue Gesetze oder Bürgerinitiativen an Wert verloren haben. Streitigkeiten werden dann an ein „Schiedsgericht“ weitergegeben, welches meist nicht im Interesse des jeweiligen Landes agiert. Darüber wird nicht laut gesprochen, ganz im Sinne der EU. Denn diese hält es für notwendig, daß die Öffentlichkeit ausschließlich positiv über das Abkommen unterrichtet werden soll.
Dank TTIP wird wohl in Zukunft der europäische Warenmarkt mit genmanipuliertem Essen von Monsanto und Konsorten geflutet, das Lohndumping vorangetrieben und der Austausch von vertraulichen Bürgerdaten intensiviert werden.
Von deutscher Seite wird gegen die Unterwerfung Deutschlands unter die neue Weltwirtschaftsordnung kein Widerstand zu erwarten sein. Die Wahlen sind vorbei, der Koalitionsvertrag steht, das Abnicken aller Forderungen der EU-Kommission im Bundestag kann weiter gehen.
Dieser Artikel erschien zuerst in „Der Schlesier“.