Hamburg. In der ersten Dezemberwoche schien – jedenfalls in Norddeutschland – der Weltuntergang bevorzustehen.
Den Eindruck mußte man bekommen, wenn man einen Blick in die Zeitung warf: „Jahrhundertsturm droht mit schweren Verwüstungen!“ oder „Horror-Orkan mit Windgeschwindigkeiten über 180 km/h legt das Land lahm!“ lauteten die Überschriften nicht nur der Boulevard-Zeitungen. Unzählige Sondersendungen im Fernsehen reihten sich in die Panikmache ein. Man rechne mit massivsten Verkehrsbehinderungen, Schäden in Stadt und Land, Dammbrüchen, Überflutungen, Stromausfällen, Rohrbrüchen – und mit Verletzten und Toten. Als eingefleischter Hamburger rieb man sich verwundert die Augen: Es sollte ein zugegebenermaßen starker Wintersturm kommen, solche hatte man auch schon in der Vergangenheit er- und immer überlebt. Umgeknickte Bäume und herabfallende Dachziegel sind nicht schön, aber sie sind kein Anlaß für ein derartiges mediales Horrorszenario.
Als Sturm „Xaver“ dann endlich kam, trieb er die Flut in Hamburg nur unwesentlich höher als 1962 und blieb erheblich unter der Rekordflut von 1976 zurück. Es gab nicht einen einzigen Dammbruch und keinen Verletzten in der Hansestadt.Der Sturm tobte erträglich, verglichen mit der zweiten „Groten Mandränke“ von 1634, die die Nordseedeiche gleich hundertfach zertrümmerte, die Küstenlinie vollkommen veränderte und bis zu 15.000 Menschen das Leben kostete.
Die Frühjahrselbflut von 2013 blieb deutlich unter den Pegelständen von 2002 und erst recht unter der Märzflut der Elbe im Jahr 1845, die Sommerwärme dieses Jahres reichte nicht annähernd an 2003 oder die amerikanische Hitzewelle von 1988. Mit anderen Worten: Im Frühjahr laufen die Flüsse über, im Sommer kann der Asphalt hin und wieder köcheln, zum Jahresende stürmt es schon mal.
So, das wissen wir alle, geht Journalismus im Jahr 2013 überhaupt nicht mehr. Was sollen die Leser eigentlich denken, wenn nach der „Schneewalze über Deutschland“ (ARD), der Jahrhundertflut und der Gluthitze einfach nur ein Sturm wüten würde und nicht ein Liveticker eine Mücke zum Elefanten aufbläht: In Hamburg hat der Jahrtausendmonsterorkan den Fischmarkt geflutet! Dabei ist das völlig normal, und jeder in der Stadt weiß das. Trotzdem gibt es immer wieder einige Pkw-Besitzer, die dort ihre Autos parken, die dann vor surrenden Filmkameras werbewirksam aus dem Wasser gezogen werden müssen.
Als sich dann am Nikolaustag zeigte, daß die Aufregung den wirklichen Sturmverlauf in keiner Weise rechtfertigte, brachten sich andere Katastrophen-Profiteure ins Gespräch. Einer meinte, die Deutschen seien nicht krisenfest, sie trieben zu wenig Vorratshaltung und sollten immer Wasser, Kerzen und Batterien sowie Streichhölzer und Holz gebunkert haben. Das wiederum kann man nachvollziehen, denn Windräder schalten sich bei Sturm ab, und Kraftwerke sind längst vom Netz genommen. So kann es durchaus bald passieren, daß bei für Norddeutschland völlig normalen Wetterlagen demnächst die eigene Wohnung dunkel und kalt sein wird.
Dieser Artikel erschien zuerst in „Der Schlesier“.