Foto: Nicole Heiling Photography
Nach den Wahlen: In Österreich sind die NEOS in den Nationalrat eingezogen
Schwarz plus grün gleich pink. Zugegeben, nach der Farbenlehre ist das nicht korrekt, aber in der Politik ticken die Uhren eben manchmal anders. Pink – das ist die Parteifarbe der NEOS, einer neuen Formation, die nur ein Jahr nach ihrer Gründung auf Anhieb den Sprung in den österreichischen Nationalrat geschafft hat. Mit fast fünf Prozent der Stimmen überwand die liberale Partei Ende September deutlich die Vier-Prozent-Hürde bei den landesweiten Wahlen. Viele ihrer Wähler hatten die NEOS den unterschiedlichen Lagern der ÖVP und der Grünen abspenstig gemacht – ein Phänomen, das zunächst für Irritationen sorgte.
Überhaupt wußte man in den Medien nicht recht, wohin man die Newcomer stecken sollte. Schon der Wahlkampf war unorthodox, die Anhänger mobilisierte man auf Partys und über virtuelle Netzwerke. Besonders in den Städten und dort vor allem beim jungen, gutsituierten Publikum, bei den „Modernisierungsgewinnern“, konnten die NEOS kräftig punkten. Darunter viele frühere Wähler „von ÖVP und Grünen, denen die Konservativen zu altmodisch und die Grünen zu wenig wirtschaftsfreundlich waren“, wie Welt Online beobachtete. Am häufigsten erhalten die Neuen das Etikett „liberal“, sie selbst bezeichnen sich als „postideologische Zentrumspartei“.
Post-, also nachideologisch, das klingt schick und modern und spricht genau das Klientel an, auf das die NEOS zielen: junge, flexible, beruflich erfolgreiche Menschen, die sich nicht auf politische Formeln und starre Denkmuster festlegen lassen wollen. Ihre Dynamik bezieht die Partei aus dem Versprechen, Wege aus dem „Stillstand“ aufzeigen zu wollen, der aus Jahrzehnten rot-schwarzer Proporzpolitik resultiere. Die spannende Frage ist jedoch, wohin diese Wege führen sollen. Auch hier demonstrieren führende NEO-Politiker erst einmal „Offenheit“. Bei manchen Fragen stehe man der SPÖ nahe, bei anderen eher der ÖVP oder den Grünen. Immer schön geschmeidig bleiben.
Nur mit der FPÖ will man nichts zu tun haben, das läge „jenseits des politischen Hygienekorridors“, wie NEOS-Abgeordneter Niko Alm der Süddeutschen Zeitung sagte. NEOS steht für „Das neue Österreich“, doch so neu in der Politik sind die Protagonisten der jungen Partei gar nicht. Besonders unter den neun Nationalrats-Abgeordneten gibt es einige mit Vorgeschichte. Niko Alm zum Beispiel kandidierte bereits auf einer Landesliste für die Grünen, wurde aber vor allem als Initiator eines (erfolglosen) Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien bekannt. Der Atheist tritt für eine strikte Trennung von Staat und Kirche ein. Für sein Führerscheinfoto setzte er sich ein Nudelsieb auf den Kopf, dies sei das Symbol seiner „Kirche des fliegenden Spaghettimonsters“. Einer, der weiß, wie man sich in Szene setzt.
Genau wie das Aushängeschild der Partei, ihr Vorsitzender und Klubobmann (Fraktionsvorsitzender) Matthias Strolz. Der 40jährige war an der Universität Innsbruck, wo er Wirtschafts- und Politikwissenschaften studierte, bereits Chef der Hochschülerschaft und bewegte sich in wirtschaftsnahem Umfeld. Er arbeitete für den Wirtschaftsbund und als Trainee der Industriellenvereinigung, betätigte sich selbst beruflich als Unternehmensberater. Medien berichten gerne vom esoterisch angehauchten Selbstfindungsritual des Parteichefs vor gut zwei Jahren: fünf Tage mit dem Rucksack im Wienerwald, fastend, sinnierend und danach entscheidungsfreudig wie selten zuvor.
NEOS-Abgeordnete und Strolz-Vize Beate Meinl-Reisinger kommt aus der ÖVP, war bereits für verschiedene ÖVP-Politiker auf EU- und Bundesebene tätig und wurde bekannt, als sie sich schon 2002 für eine schwarz-grüne Koalition engagierte. Beruflich wirkt sie als Juristin – wie drei weitere NEOS-Abgeordnete, daneben dominieren Unternehmer und Manager. Bei der Wahl waren die NEOS ein Bündnis mit dem Liberalen Forum (LF) eingegangen, das sich 1993 von der FPÖ abgespalten hatte und bis 2008 im Nationalrat vertreten war. Mit Bundessprecherin Angelika Mlinar und dem Wiener Landessprecher Michael Pock sind die Linksliberalen jetzt wieder im Parlament. Interessant: Gleich zwei NEOS-Parlamentarier, nämlich Mlinar und ihr Kollege Rainer Hable, haben schon einmal für die Europäische Kommission gearbeitet.
Was auch gut zum Programm paßt, denn die NEOS verstehen sich als die „proeuropäischste“ Partei Österreichs. Wie allgemein üblich, wird „Europa“ gesagt, wenn die „Europäische Union“ gemeint ist. Andere planen es heimlich, bei der neuen Partei ist es Programm: Mit der Souveränität der EU-Mitglieder soll es bald ein Ende haben, aus der Union soll ein Bundesstaat mit eigener europäischer Staatsbürgerschaft werden. In einem Positionspapier verraten die NEOS, wie sie sich die Situation im Jahr 2018 vorstellen: „Die EU gründet auf einer gemeinsamen Verfassung und hat sich auf Basis eines breit verankerten Konvents und durch entsprechende Volksentscheide strukturell neu erfunden.“
Und weiter: „Die Unionsbürger(innen) fühlen sich stärker auch als Europäer(innen) und interessieren sich mehr für die Unionsebene. Österreich versteht Europa-Politik als Innenpolitik und gestaltet diese proaktiv, selbstbewußt und integrativ mit.“ Die NEOS sind zwar gegen die Fiskalunion und Eurobonds, halten den Ankauf von Staatsanleihen der Pleitestaaten durch die EZB aber für „vorerst die beste unter den vorhandenen schlechten Optionen“. Völlig unkritisch gibt man sich gegenüber dem „Rettungsschirm“ ESM, und auch eine einheitliche Bankenaufsicht befürworten die neuen Liberalen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei soll die EU „forciert fortführen“.
Das übrige Programm hat viele Bonbons für Wirtschaft und Wohlhabende: runter mit den Lohnnebenkosten, hoch mit der Schwelle für den Höchststeuersatz, in Tarifverträgen sollen nur noch Mindeststandards geregelt werden. Und natürlich soll fleißig privatisiert werden. „Warum soll man nicht überlegen, ob die Wasserversorgung öffentlich ausgeschrieben wird und ein Privater befristet das Recht dazu bekommt?“ zitiert die Wiener Zeitung den NEOS-Abgeordneten Gerald Loacker. Geradezu NEOliberal. Natürlich ist die Partei zuwanderungsfreundlich und gegen Rassismus. Die Asylgerichtsbarkeit will sie auf die EU-Ebene verlagern.
„Ohne seine Zuschüsse hätte die Partei der NEOS kaum aus dem Stand den Sprung in den Nationalrat geschafft.“ Gemeint hatte die taz mit diesem Satz Hans-Peter Haselsteiner, noch bis Juni Chef der Strabag, einem der größten Baukonzerne Europas, und dort immer noch als Generalbevollmächtigter aktiv. Der 700 Millionen Euro schwere Haselsteiner steuerte 450.000 Euro zum NEOS-Wahlkampf bei. Großzügig zeigte sich der 69jährige schon früher. So rettete er das berüchtigte „Flüchtlingsprojekt“ der Ute Bock vor dem finanziellen Aus. Seine Partei vertritt Haselsteiner ganz frisch als Stiftungsrat im ORF. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß zwei der ersten Vorschläge, die die NEOS nach der Wahl vorbrachten, die Aufnahme von 10.000 syrischen Flüchtlingen nach Österreich sowie die steuerliche Absetzbarkeit von Parteispenden waren. Immerhin fackelt die „neue Kraft“ nicht lange.
Harald Kersten