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Europeade: Im thüringischen Gotha fand in diesem Jahr das große europäische Kulturfest der Trachtengruppen, Sänger und Musikanten statt
Der Bürgermeister von Gotha war nicht nur begeistert, sondern regelrecht gerührt. „Folklore bedeutet Lebensfreude, Traditionsbewußtsein und gemeinsames Feiern im europäischen Gedanken“, faßte Knut Kreuch zusammen, was die thüringische Stadt in den vergangenen fünf Tagen erlebt hatte. „Es war ein tolles Festival.“ Tatsächlich kann das Wort „Folklore“ kaum angemessen ausdrücken, was diese 50. Europeade, das größte europäische Kulturfest, in Wirklichkeit gezeigt hat: Gesang, Musik und Tanz, Volkstum und Brauchtum unseres Kontinents in seiner ganzen prachtvollen Vielfalt sind mehr als eine Touristenattraktion.
Sie sind vielmehr Ausdruck der ungebrochenen Vitalität und Strahlkraft unserer europäischen Kulturen. Aus 26 Ländern waren über 200 Ensembles mit rund 5.000 Teilnehmern gekommen, um die Lieder, Tänze und Trachten ihrer Region zu präsentieren und die ihrer Nachbarn kennenzulernen. Rassige spanische Flamenco-Tänzer, die Pipers aus den schottischen Highlands, Schuhplattler aus den Alpen, Schweden, Holländer, Ungarn, Italiener, Russen und und und. Nicht zu vergessen jene, die quasi an der Wiege der Europeade standen: Donauschwaben etwa, Sudetendeutsche und Schlesier.
Dieser einzigartige Mix hat immerhin rund 100.000 Besucher in die Stadt gezogen, die sich an den zahlreichen Bühnen und Plätzen an den farben- und klangfrohen Darbietungen der oft jungen Künstler erfreuten. Gotha ist die siebente deutsche Stadt, die Gastgeber der Europeade war – und die erste mitteldeutsche. Als guter Gastgeber muß man „vorlegen“. Kein Problem für die Thüringer: 700 Mitglieder von Thüringer Trachtenvereinen boten in einer dreistündigen Vorstellung unter anderem mit Dudelsack und Fahnenschwingern den Zuschauern einen furiosen Auftakt. „Klassisch“ begrüßt wurde das Publikum dann mit einem Freiluft-Konzert der Thüringer Philharmonie.
Ins Leben gerufen war das Großereignis 1964 in Antwerpen von dem Flamen Mon De Clopper und dem Schlesier Robert Müller-Kox worden. Dies war natürlich vor allem für die schlesischen Gruppen eine besondere Verpflichtung, die dann auch mit über 100 Teilnehmern einer der größten regionalen Kulturträger des Festes waren. Alle waren sie nach Gotha gekommen: die Riesengebirgstrachtengruppe München, die Brückenberger Trachtengruppe Bonn, die Tanz- und Spielschar Wiesbaden, die Schlesische Volkstanz- und Trachtengruppe Schreiberhau aus Schwalmstadt, der Fröhliche Kreis aus Bergisch-Gladbach und die Trachten- und Volkstanzgruppe Bielitz-Biala.
Ihre Auftritte wurden von den Gästen begeistert aufgenommen und mit viel Beifall bedacht. Auf besondere Aufmerksamkeit stießen die „Kuhhirten“, wie die Glockenspielgruppe scherzhaft in der Bevölkerung genannt wurde. Bewundernde Blicke ernteten vor allem die Frauen mit ihren historischen weißen Schürzen und Schultertüchern mit der seltenen Hirschberger Weißstickerei. „Wir haben unser Schlesien gut dargestellt und präsentiert. Alles ist gut gelaufen und ich bin glücklich“, zog Ulrike Kurbirske, die Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Schlesischer Trachtengruppen, erschöpft aber zufrieden Bilanz.
Auf vier Tanzböden hatten die Schlesier beim großen Finale im Volksparkstadion mit acht Vierpaar-Kreisen einen historischen Tanz aufgeführt. Zuvor waren sie dabei, als die über 200 Teilnehmer-Gruppen der Europeade über drei Stunden lang eine farbenprächtige Parade durch die Straßen Gothas zelebrierten. Dieser „Trachten“-Lindwurm hatte es in sich. „Von der Stadthalle bis zum Kulturhaus säumten Zuschauer die Straßen und begrüßten die Teilnehmer mit viel Beifall“, freute sich die Thüringische Landeszeitung.
Im Volksparkstadion ließen es 2.500 Tänzerinnen und Tänzer noch einmal richtig krachen. Für weitere drei Stunden boten sie atemberaubende Tanzvorführungen, die das Publikum in den Bann zogen. Am Ende wurde der Rasen gestürmt, die Künstler schwenkten die Fahnen ihrer Nationen und ließen das Spektakel fröhlich ausklingen. Noch einmal wurde es „offiziell“, als die Tambach-Dietharzer Trachtengruppe die Europeade-Fahne ins Stadion trug und ganz akkurat auf Dreiecksgröße faltete. Vom Präsidenten des Europeade-Komitees, Armand de Winter, wurde sie dann an den Gastgeber der Europeade im nächsten Jahr übergeben, den Stadtpräsidenten von Kielce (Polen).
„Was die Olympischen Spiele für den Sportler, das ist die Europeade für die Tänzer, Sänger und Musikanten.“ Diesem Motto ist das europäische Kulturfest zu seinem 50. Jubiläum absolut gerecht geworden. Gotha hat sich von seiner besten Seite gezeigt, und wohl deshalb gab es auch noch mal tosenden Applaus für den Bürgermeister, als er versprach, das grandiose Fest wieder nach Gotha zu holen – zum 75. Jubiläum.
Ulf Böttcher