Der Pate regelt sein Erbe

22. Juli 2013
Foto: RTL

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RTL gibt Günter Wallraff eine eigene Sendung – und blamiert sich bis auf die Knochen

 

Er ist der Rächer der Enterbten, der Beschützer der Witwen und Waisen – das glaubt er zumindest. Seit Günter Wallraff als Türke Ali Deutschland „ganz unten“ erlebt und geschildert hat, ist er von der Vorstellung besessen, eine Art investigativer Journalist zu sein.

Doch das ist immerhin schon fast 30 Jahre her und Wallraff nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Heute ermitteln Investigatoren im Dienste der Medien gegen Internet-Betrüger, Heiratsschwindler, Finanzjongleure oder unlautere Handwerker. Die versteckte Kamera, die verdeckte Ermittlung gehören schon lange zum kleinen Einmaleins der Fernsehschaffenden – ob immer ein Erkenntnisgewinn daraus resultiert, ist eine andere Frage.

In dieser Umgebung wirkt der 70jährige Wallraff wie ein Relikt aus der Schwarzweißära. Mit seiner schleppenden Stimme, dem rheinischen Tonfall und der lehrerhaften Attitüde könnte er auch im Schulfernsehen auftreten und den ahnungslosen Kindern erklären, daß die Welt von Grund auf schlecht ist. Zum Glück gibt es ja noch einige wenige Aufrechte wie Wallraff, die den Geknechteten dieser Erde ohne Rücksicht auf das eigene Wohl zu ihrem Recht verhelfen. Doch der einsame Kämpfer hat mit den Jahren etliche Blessuren davongetragen. Wallraff verdingte sich als Stahlkocher, Bäckergehilfe und Paketbote, aber die Resonanz auf seine vermeintlichen Großtaten wurde mit jeder Mission schwächer.

Der Tiefpunkt war erreicht, als Wallraff mit Schuhcreme im Gesicht durchs Land zog und meinte, mit diesem Laienspiel den „alltäglichen Rassismus“ aufzudecken, den Multikulti-Lobbyisten hinter jeder Ecke vermuten. Das war selbst den linksgewirkten Medien zu viel. Sie urteilten harsch über den einstigen Vorkämpfer für das Wahre und Gute. So kritisierte unter anderen die schwarze Autorin Noah Sow die Aktion: „Er äfft unterdrückte Minderheiten nach und erntet damit Geld, Aufmerksamkeit und sogar Respekt.“ Als „angemalter Weißer“ könne man schwarze Erfahrungen nicht machen. Die Methode selbst, so mahnte die Süddeutsche Zeitung, sei „rassistisch“. Wallraff betreibe „weniger eine Anklage gegen den Rassismus als eine Inszenierung seiner eigenen Vorurteile“. Die Erlebnisse des „Somaliers Kwami Ogonno“ schienen den Endpunkt der Fernsehlaufbahn des Kölner Wanderpredigers zu bilden. Doch nach drei Jahren Sendepause tauchte Wallraff 2012 unverhofft auf dem Bildschirm wieder auf. RTL erbarmte sich seiner, und den Kölnern gelang im Juni sogar, mit dem Namen des abgehalfterten Enthüllers Zugkraft zu entfalten: „Team Wallraff – Reporter undercover“ tritt in die Fußstapfen so bahnbrechender Formate wie Ulrich Meyers Akte 2000 ff. (SAT.1) oder extra (RTL). Hier wird die Recherche zur Pflicht, die Investigation zur Kunstform. Jedes noch so kleine Alltagsärgernis – ob überhöhte Waschmaschinenreparaturpreise oder Dreckecken im Hotelzimmer – gerät zum Krisenszenario – lösbar nur durch die unerschrockenen Reporter.

Das „Team Wallraff“ geht dann auch ganz hoch ran und schockiert die Öffentlichkeit mit der Offenbarung, daß es Frauen gibt, die als Zimmermädchen zu den Geringverdienern im Lande gehören. Unter dieser Prämisse wagt sich ein Mitglied des „Teams Wallraff“, die blonde Pia Osterhaus, in eine Reihe von Hotels unterschiedlicher Klassifizierung, um – ja, was eigentlich? Zu zeigen, daß es anstrengend ist, drei Zimmer in einer Stunde sauber zu machen? Das ist sicher so, und der Stundenlohn von neun Euro ist nicht berauschend. So weit, so offensichtlich. Dazu kommen Ungerechtigkeiten, die der Arbeitgeber zu verantworten hat. Denn die Putzkräfte werden nicht vom Hotel selbst bezahlt, sondern von Reinigungsfirmen, die ihre Arbeitskräfte extrem kurz halten. Reporterin Osterhaus mag es kaum glauben, aber Putzen ist anstrengend. Bemerkenswert scheint ihr auch zu sein, daß körperliche Arbeit Spuren im Bewegungsapparat und der Muskulatur hinterläßt. Noch schlimmer scheint ihr aufzustoßen, daß die Gäste sie gar nicht wahrnehmen. „Man fühlt sich nicht gewürdigt“, lautet eine ihrer wehklagenden Erkenntnisse nach wenigen Tagen im Einsatz.

Was hat sie denn erwartet? Daß die Gäste ein aufmunterndes Gespräch mit ihr beginnen, während sie deren Hotelaufenthalt stört? Nein, Reporterin Pia will mehr. Mehr Geld, mehr Anerkennung, mehr Respekt. Vor allem seitens der Vorgesetzten. Denn die sind knallhart und führen penibel Buch über die Zeit, die die Zimmermädchen für jedes Zimmer benötigen. Das ist Akkord, definitiv kein Zuckerschlecken und wer hinter der Norm zurückbleibt, wird auf dem Schwarzen Brett als „Minderleister“ angeprangert. Und so kommt es, wie es kommen muß. Nach wenigen Tagen muckt die Journalistin auf. Ihre Beschwerde wegen des rüden Tonfalls in der Putztruppe führt dazu, daß die resolute Gruppenführerin ihr die sofortige Kündigung ausspricht.

„Verdammte Scheiße“, fährt die „Hausdame“ ihre Zimmermädchen an und erklärt in grenzwertigem Deutsch: „Ich mache Dir jeden Tag einen Gefallen, daß Du hier arbeitest!“ Genau wie fast die gesamte Belegschaft ist die Aufseherin Ausländerin. Pias Kolleginnen halten den Mund und schrubben wie wild weiter. Der Befund ist eindeutig: Reinemachefrau ist kein Traumberuf. Doch braucht es ein „Wallraff-Team“, um das aufzudecken?

Offenbar schon, denn der Meister selbst ist anschließend im extra-Studio zugegen, um die filmischen Ergüsse seiner Jüngerin zu kommentieren. „Skandalös – hier muß sich etwas ändern!“ ist das Fazit. Die Politik müßte, die Staatsanwaltschaft sollte. Tja, erschütternd. Die Moderatorin versucht zu helfen, aber das Ergebnis bleibt so dünn und vorhersehbar wie seit Minute eins: Arbeit ist anstrengend, kann unangenehm sein, wird oft schlecht bezahlt und ist prekär.

Ach ja: Der Altmeister läßt es sich nicht nehmen, selbst in die verdeckte Aktion einzugreifen. Mit Perücke und Schnäuzer getarnt, erkundigt er sich als angeblicher Investor nach den Konditionen für die Reinigungskräfte. 30 Euro für fünf reinegemachte Zimmer, wer muckt, wird versetzt oder vergrault – so funktioniert es bei diesem Dienstleister in Berlin. Das ist aller Ehren wert, und der Zuschauer erfährt aus erster Hand, daß von den neun Euro Mindestlohn oft nur vier Euro übrig bleiben, weil ein oder mehr Subunternehmer ihren Anteil einbehalten und unrealistische Arbeitspläne vorgeben – auch in Nobelhotels. Spannend wird es, wenn die Charade der Reporterin aufzufliegen droht, als der Zoll nach Schwarzarbeitern fahndet. Hier wird es dann allerdings auch in Sachen Glaubwürdigkeit absurd. Der RTL-Touch nervt auch, wenn die Reporterin – ganz Mensch – einer jungen Rumänin zu einem Ausbildungsplatz als „Restaurantfachfrau“ (vulgo: Kellnerin) verhilft – zum Preis der vierfachen Nennung und Einblendung des Hotelnamens plus mehrerer Interview-Passagen mit den stolzen Lehrherren. Das muß die Integration von ungelernten Zuwanderern vom Balkan doch wert sein. Wo kämen wir denn hin, wenn die begehrten Plätze in der Hotellerie nur an deutsche Jugendliche gingen?

„Team Wallraff“ hilft hier in bester „Bild kämpft für Sie!“-Tradition. Damit dürfte sich Günter W. aus K. ja auskennen, denn schließlich verdankt er seinen Bestseller Der Aufmacher seinem Geheimaufenthalt bei der Bildzeitung. Ausgerechnet auf diese Enthüllungsgeschichte fiel ein langer Schatten, als Hermann Gremliza, Herausgeber der linksradikalen Postille Konkret seinerseits enthüllte, daß er und nicht Wallraff Autor des Aufmachers gewesen sei. Außerdem habe Wallraff kein einziges seiner Bücher alleine geschrieben.

Die Bild könnte auch gut André Fahnemann bei seiner Enthüllungsserie gegen Wallraff helfen. Fahnemann war nach eigenen Angaben vier Jahre lang bei Wallraff ohne Arbeitsvertrag zu einem Niedriglohn angestellt und bezog nebenher noch So-zialleistungen. Darüberhinaus habe er auf Wallraffs Anweisung hin Eidesstattliche Versicherungen von Informanten gefälscht. Spätestens seit Bekanntwerden dieser Umstände 2012 galt Wallraff für das öffentlich-rechtliche Fernsehen als verbrannt. Bild half naturgemäß nicht so gerne, dafür hilft RTL – auch wenn es um gestrige Maulwürfe geht. Dabei hätte die Akte Wallraff schon 2009 für immer geschlossen werden können. Damals behauptete der Kölner, daß eine Großbäckerei unsaubere Methoden anwenden würde. Die beschuldigte Firma wehrte sich öffentlich dagegen. Wallraff mußte klein beigeben. Danach kam dann nur noch die Tour mit dem Ogonno. Die half Wallraff auch nicht mehr.

Günter Wallraff gehört ins Fernsehmuseum, nein, noch nicht einmal dorthin. Er gehört zusammen mit anderen altlinken Propagandisten auf den Altpapierhaufen der jüngsten Geschichte. Niemand braucht ihn mehr. Hat ihn je jemand gebraucht?

Achja, einen rührenden Moment der Wahrheit gab es dann doch in „Team Wallraff“: Als die Reporterin – ohnehin Exotin unter den Osteuropäerinnen – ihre Identität preisgibt, ist ihre engste Kollegin sauer. Sie fühlt sich belogen und betrogen. Und das wiegt fast schlimmer als für 3,90 Euro Stundenlohn zu buckeln.

 

Volker Hartmann

 

 

 

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