Heutiges Grünen-Spitzenpersonal: Parlamentarischer Geschäftsführer Volker Beck
(Foto: flickr/gruenenrw, CC BY-SA 2.0)
Bonn. Was waren das für wilde und vergleichsweise spannende Zeiten – damals, in den 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts. Es gab die Blockkonfrontation noch, bis zum Mauerfall sollten noch sechs Jahre vergehen, und daß der frischgewählte Bundeskanzler Kohl für dröge sechzehn Jahre an der Regierung bleiben würde, konnte noch keiner ahnen.
Besonders spannend ging es, was für heutige Ohren geradezu sensationell klingt, im Bundestag zu, damals noch in Bonn. Denn bei der Bundestagswahl 1983, im März vor nunmehr 30 Jahren, gelang erstmals den „Grünen“ der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde: mit 5,6 Prozent und stattlichen 28 Abgeordneten waren sie schlagartig vierte Partei im Parlament – eine stattliche Leistung, denn offiziell gegründet worden war die Öko- und Anti-Atom-Partei erst drei Jahre zuvor, im Januar 1980.
Daß es sich bei der vermeintlichen Sponti-Truppe, die ähnlich unverbraucht daherkam wie heute die (allerdings schon wieder im Abstieg begriffenen) „Piraten“, um alles andere als eine frisch-fröhliche Umweltpartei handelte, weiß man nicht erst seit gestern. In Wirklichkeit handelte es sich um eine konzertierte Aktion neuer und alter Linker, die in den siebziger Jahren erfolgreich die Anti-Atom-Bewegung gekapert hatten und Anfang der achtziger Jahre von der Diskussion um die Mittelstrecken-Nachrüstung profitieren konnte. Das Projekt, bei dem altlinke Kader und Kommunisten die Strippen zogen, mauserte sich rasch.
1983 dann der Einzug in den Bundestag – für viele ein echter Kulturschock. Denn die 28 Parlaments-Neulinge wollten bewußt schockieren: Im Bundestag nahm eine bunte Truppe in Jeans und lila Latzhose, mit Sonnenblumen auf dem Pult und Friedenstauben auf dem Hemd Platz. Vor dem Einzug gab es ein „Happening“, einen Umzug der neuen Fraktion im Regierungsviertel, bei dem ein gefällter Baum von der umstrittenen Frankfurter Startbahn West, eine abgestorbene Schwarzwaldtanne und ein Globus in Gestalt eines riesigen Gummiballs mitgeführt wurden. Klare Ansage: Den „Neuen“ im Bundestag ging es um Umweltschutz, Anti-Atom-Politik und die Dritte Welt.
Dem äußerlichen Bruch mit dem gediegenen Bonner Parlaments-Herkommen folgten in der ersten Zeit der grünen Bundestags-Präsenz zahlreiche weitere Tabubrüche. Manches davon war komisch – wie der gefühlig-wabernde Redeauftritt der 40jährigen Germanistik-Absolventin und zweifachen Mutter Waltraud Schoppe, die in ihrer Jungfernrede den „alltäglichen Sexismus hier im Parlament“ anprangerte und neue Formen des lustvollen, schwangerschaftsverhütenden Liebesspiels empfahl. Das Hohe Haus wurde zum Tollhaus, die taz schrieb hinterher von „johlendem, grölendem Männermob“ im Parlament.
Anderes war weniger komisch und auch nicht so gemeint, wie 1984 der an Bundestagsvizepräsident Richard Stücklen gerichtete Ausruf des nachmaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ Neue Zeiten, neue (Un-)Sitten.
Heute, dreißig Jahre später, wünschte man sie sich manchmal zurück. Denn die damalige Chaoten-Truppe, die immerhin frischen Wind und neue, bunte Bilder vom westdeutschen Politikbetrieb produzierte, ist längst von der Parlamentsroutine und den tausend Sachzwängen des Polit-Betriebes assimiliert worden, den Fischer, Schoppe und Co. seinerzeit kritisierten. Viel, zweifellos, haben die Grünen auf ihrem Weg in die Gegenwart erreicht und von ihren Zielen in die deutsche Politik einspeisen können – mehr sicherlich, als dem Land guttut. Ein schwäbischer Grüner mit türkischen Wurzeln, Cem Özdemir, wird heute längst als künftiger Kanzler-Aspirant gehandelt, und wie selbstverständlich nickt die frühere Pazifistentruppe heute jeden noch so absurden Auslandseinsatz der Bundeswehr ab. An die Stelle der Verweigerer, die ehedem von den Grünen besetzt wurde, ist heute, wenn überhaupt, die LINKE getreten, aber auch in deren Reihen ist der Block der Fundamental-Oppositionellen längst am Schmelzen.
Fazit: Ihre interessantesten Zeiten haben die Grünen seit langem hinter sich. Dreißig Jahre nach ihrem Einzug in den Bundestag sind sie Fleisch vom Fleisch des „Systems“ wie die übrigen Altparteien auch. Es wäre wieder einmal Zeit für etwas Neues.
Dieser Artikel erschien in ZUERST! Ausgabe 4/2013