Der russische Geopolitik-Experte und Philosoph Prof. Alexander Dugin über den russischen Militäreinsatz in Syrien
Eine russische Passagiermaschine vom Typ Airbus A321 ist am 31. Oktober bei einem Charterflug vom ägyptischen Scharm al-Scheich nach Sankt Petersburg auf der Sinai-Halbinsel abgestürzt. Alle 224 Menschen an Bord kamen ums Leben. Fast alle waren russische Staatsangehörige. Das Flugzeug war nur etwa 20 Minuten lang in der Luft, bevor es abstürzte. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hatte sich unmittelbar nach der Katastrophe zu dem Anschlag bekannt. Die „Soldaten des Kalifats haben es geschafft, ein russisches Flugzeug in der Provinz Sinai“ abzuschießen, hatte die IS-Gruppe erklärt. Die mehr als 220 „Kreuzzügler“ an Bord der Maschine seien getötet worden. Der Abschuß sei eine Racheaktion für die russische Militärintervention in Syrien. Russische ausländische Experten haben zwar ausgeschlossen, daß es sich um einen „Abschuß“ handelt, aber die Ermittler gehen davon aus, daß eine Bombe an Bord des Flugzeugs detonierte und den Absturz verursachte.
Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hat Rußland bereits im vergangenen Jahr den Krieg erklärt. Und als Terrorgruppe tötet der IS Zivilisten und erfreut sich am Tod von Zivilisten. Zivilisten zu töten, ist die Essenz des Terrorismus. Terroristen töten unschuldige Opfer, um ein politisches Ziel zu erreichen. Dies entspricht auch der Natur des „Islamischen Staates“. Es handelt sich dabei weder um Islam noch um einen Staat. Denn für einen gläubigen Muslim ist der Tod unschuldiger Zivilisten in akzeptabel. Der Tod von Zivilisten ist aber der Preis, den Rußland für die Militärhilfe in Syrien heute und wahrscheinlich in Zukunft wird bezahlen müssen. Die Terroristen des IS sehen alle Russen als Feinde an, nicht nur das russische Militär. In den sozialen Netzwerken im Internet zeigten zudem westliche Kommentatoren unverhohlen ihre Schadenfreude über das Flugzeugunglück.
Doch warum leistet Rußland diese Militärhilfe für Syrien? Zunächst handelt es sich um einen geopolitischen Konflikt. In Syrien verläuft die Front zwischen Atlantikern und Eurasiern. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entstand ein politisches Vakuum im Osten, auch im Nahen Osten. Dort verfolgen die USA seitdem das Projekt der Zerstörung der Nationalstaaten – auch das „Greater Middle East Project“ genannt. Dabei zerstörten die USA sogar Staaten, die sich mehr oder weniger loyal gegenüber Washington verhalten haben. Die USA sorgen für Chaos und betätigen sich als Hegemonialmacht. In den 1990er Jahren war Rußland geschwächt und reagierte nicht. In den frühen 2000er Jahren begann Rußland langsam, sich zu erholen. Und heute hat sich Wladimir Putin dazu entschlossen, aktiv der US-amerikanischen Chaos-Politik im Nahen Osten entgegenzutreten. Die russische Militärhilfe gegen den Terrorismus in Syrien kann als Akt eurasischer Geopolitik gesehen werden. Syrien befindet sich im Zentrum der Schlacht zwischen den Vertretern einer unipolaren (USA) und einer multipolaren Weltordnung (Rußland).
Doch darüber hinaus müssen wir den „Islamischen Staat“ als eine direkte Bedrohung der Russischen Föderation wahrnehmen. Die Terrororganisation ist ein Produkt der US-amerikanischen Politik – kreiert, um Chaos zu verbreiten und um den USA jederzeit die Vorlage für eine eigene US-Militärintervention zu liefern – wie man am Beispiel Syriens sieht. Aber der „Islamische Staat“ ist nicht nur im Irak und in Syrien präsent. Auch in Zentralasien existieren Gruppen des IS. In Afghanistan, Tadschikistan und Usbekistan sind Terrorbanden aktiv, die die gleiche Ideologie und die gleichen Sponsoren wie der „Islamische Staat“ in Syrien und im Irak haben. Auch im Nord- Kaukasus, also bereits auf dem Gebiet der Russischen Föderation, sind diese Gruppen aktiv. Wladimir Putin versteht sehr genau, daß es auch in Zentralasien und im Kaukasus um die Schaffung chaotischer Zustände mit Hilfe des „Islamischen Staates“ und ähnlicher Terrorgruppen geht.
Die Logik der russischen Militärintervention ist daher klar: Wenn wir Russen nicht den US-kreierten und -unterstützten Terrorismus bereits in Syrien eindämmen, werden wir bald an unserer eigenen Grenze und sogar auf unserem Territorium gegen ihn kämpfen müssen. Syrien ist unsere äußere Verteidigungslinie. Die nächste Linie befände sich schon auf dem Territorium der Eurasischen Union und sogar auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation.
Dazu kommt: Der russische Militäreinsatz in Syrien ist im Gegensatz zur US-geführten, sogenannten „Anti- Terror-Kampagne“ absolut legitimiert. Moskau kooperiert eng mit Damaskus, die syrische Regierung hat offiziell um russische Unterstützung angefragt. Die russische Luftwaffe arbeitet mit der syrischen Armee zusammen, während die US-geführten Angriffe gegen den Willen und trotz Protesten der syrischen Regierung stattfinden. Dr. Baschar al-Assad ist der legitime und gewählte Präsident Syriens, er wird von weit mehr als 50 Prozent der syrischen Bevölkerung unterstützt. Das bedeutet: In Syrien kämpfen wir zusammen mit unseren syrischen Verbündeten gegen die Expansion des „Islamischen Staates“.
Wir müssen uns vor Augen führen, was ein totaler Zusammenbruch Syriens bedeuten würde. Er würde automatisch den Zusammenbruch aller anderen islamischen Staaten in der Region nach sich ziehen, auch Nordafrika würde mittelfristig völlig ins Chaos gestürzt werden, wie wir in Libyen bereits sehen. Wir können daher von einer Kettenreaktion oder einem Dominoeffekt im Falle eines Zusammenbruchs Syriens sprechen. Dies hätte wiederum zur Folge, daß Abermillionen an Flüchtlingen und Migranten sich in Richtung Europa in Marsch setzen werden, da es im totalen Chaos keine Zukunftsperspektive für die Menschen mehr geben wird.
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Prof. Alexander Dugin, geboren 1962 in Moskau, ist russischer Politiker, Politologe, Philosoph und Publizist. 2015 erschien im BONUS-Verlag sein Buch Konflikte der Zukunft: Die Rückkehr der Geopolitik.
[…] Alexandra Dugina Warum wir in Syrien kämpfen vyšla původně v časopise Zuerst! Český překlad […]
[…] Alexandra Dugina Warum wir in Syrien kämpfen vyšla původně v časopise Zuerst! Český překlad pochází ze stránek Manuela […]