„Verpaßte Chancen“ – ZUERST! traf den iranischen Politiker Aladdin Borudscherdi

17. Oktober 2015
„Verpaßte Chancen“ – ZUERST! traf den iranischen Politiker Aladdin Borudscherdi
International
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Foto: Symbolbild

Artikel „Verpaßte Chancen“ aus der aktuellen Druckausgabe des Deutschen Nachrichtenmagazins Zuerst!

ZUERST! vor Ort: ein Treffen mit dem Vorsitzenden des iranischen Komitees für Nationale Sicherheit und Auswärtige Angelegenheiten, Aladdin Borudscherd. 

Der Atomstreit mit dem Iran konnte nach 13 Jahren beigelegt werden. In Wien einigten sich die EU, die fünf UN-Vetomächte und Deutschland mit Teheran auf ein Abkommen. In dem etwa 100 Seiten starken Dokument werden die Eckpunkte ausformuliert, die beide Seiten schon im April in Lausanne (Schweiz) vereinbart hatten. Demnach werden Anzahl und Bauart der Gaszentrifugen reglementiert, mit denen der Iran Uran anreichert. Das Land darf zudem Uran nur schwach anreichern. Die unterirdische Anreicherungsanlage Fordo darf nicht mit nuklearem Material betrieben werden. Der Schwerwasserreaktor Arak wird so umgebaut, daß dort nicht mehr in relevantem Ausmaß Plutonium erbrütet werden kann; der bisherige Reaktorkern wird demontiert. Der Iran unterwirft sich genauen Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA nach dem Zusatzprotokoll zum Nichtverbreitungsvertrag. Das heißt, daß IAEA-Inspekteure auch kurzfristig Nuklearanlagen besichtigen können.

Der einflußreiche Vorsitzende des iranischen Komitees für Nationale Sicherheit und Auswärtige Angelegenheiten, Alaeddin Borudscherdi, zeigte sich sichtlich erfreut über das Ergebnis der Atomverhandlungen, als ihn Ende Juli dieses Jahres eine Delegation italienischer Journalisten, der auch der Autor angehört, zu einem Gespräch im Teheraner Parlamentsgebäude trifft. Borudscherdi findet klare Worte gegen das westliche Sanktionsregime gegen sein Land, er nennt es eine „inakzeptable Einmischung“ in die nationale Souveränität des Iran in bezug auf die Atomfrage. „Es ist unser Recht!“ bekräftigt Borudscherdi. „Vor zehn Jahren haben wir uns an die europäischen Länder gewandt, um Technologie und Unterstützung für unser Atomprogramm zu bekommen. Als Antwort erhielten wir Sanktionen und waren gezwungen, mit anderen Staaten als denen des Westens zu kooperieren.“ Borudscherdi ist überzeugt: Europa habe dadurch eine große Chance verpaßt. Zudem sei das Sanktionsregime der EU auch eine Art Bumerang für die Europäer gewesen. Dennoch gibt es in Europa immer noch eine einflußreiche Lobby, die für die Beibehaltung und sogar noch die Verschärfung der Sanktionen gegen den Iran ist. Die pro-israelische Gruppe „Stop the Bomb“ schreit Zeter und Mordio: „Deutsche Unternehmen und die Bundesregierung stehen 70 Jahre nach dem Ende der Shoah in der ersten Reihe, um Geschäfte mit dem antisemitischen iranischen Regime zu machen.“ Politiker wie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der im Juli mit einer deutschen Wirtschaftsdelegation nach Teheran reiste, werden von den Israellobbyisten schwer angeschossen.

Aleddin Borudscherdi läßt sich von solchen Kampagnen nicht beeindrucken. Er beteuert: „Wir wollen gute Beziehungen mit der Europäischen Union.“ Diese Botschaft ist ihm wichtig. Der iranische Politiker wird der Gruppe um Präsident Hassan Rohani zugerechnet, es heißt, Borudscherdi pflege gute Beziehungen zum „Obersten Führer“ und Staatsoberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Khamenei. Borudscherdis Worte haben also Gewicht. Er bedauert, daß die EU nach wie vor nicht in der Lage sei, „die amerikanischen Einmischungen, die Europas Interessen schaden“, zu unterbinden. „Wir haben wertvolle Jahre verloren!“ Borudscherdi weiter: „Wichtige europäische Unternehmen wie beispielsweise Peugeot aus Frankreich mußten iranische Großaufträge auf US-amerikanischen Druck hin kündigen. Ich frage mich, wofür? Heute, nachdem die Atomvereinbarung unterzeichnet ist, klopfen sie alle an unsere Tür.“ Der iranische Politiker zählt die Besuche westlicher Politiker in Teheran nach dem Atomdeal auf: Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, Sigmar Gabriel aus der Bundesrepublik Deutschland, in Kürze werde der italienische Außenminister Paolo Gentiloni erwartet. Auch Österreich werde demnächst in Teheran mit einer Delegation erscheinen. „Der Iran kann sich heute selbst aus suchen, mit wem er seine Beziehungen intensiviert und mit wem nicht“, analysiert Borudscherdi. Er lächelt: Zum Glück seien aber die Beziehungen zu den Staaten der EU „nie vollständig abgebrochen“. Und dann wartet der iranische Politiker sogar noch mit einer Überraschung auf: „Wir sind bereit, den Dollar als internationale Austauschwährung durch den Euro zu ersetzen.“

Auch die Situation im Nahen Osten ist ein Thema des Treffens von Borudscherdi mit den italienischen Journalisten. Aus seiner Sicht spielt der Iran eine ganz entscheidende Rolle als Friedensstifter in der islamischen Welt. Europa fordert Borudscherdi auf, endlich ein „Faktor des Gleichgewichts“ für die Christen im Nahen Osten zu werden, die unter dem Fundamentalismus und Terror des „Islamischen Staates“ (IS) besonders zu leiden hätten. Doch Borudscherdi weiß auch: Eine solche Rolle stünde im Gegensatz zu der Saudi-Arabiens. Riad eröffne „salafistische Koranschulen in der arabischen Welt und in Europa“, so Borudscherdi. Vor allem in Europa sei diese Entwicklung besonders gefährlich. „Dort propagieren saudische Einrichtungen offen religiösen Extremismus. Immer mehr junge Europäer kämpfen in den Reihen des IS.“ Borudscherdi sieht hier einen klaren Zusammenhang zu den saudi-arabischen Aktivitäten in der EU. Seiner Meinung nach gefährdet der sunnitische Fundamentalismus Riads die innere Sicherheit der europäischen Staaten. „Wir haben den Terrorismus immer verurteilt“, sagt Borudscherdi entschieden.

Borudscherdi weiß, daß er mit seiner Kritik an den europäischen Staaten den Finger tief in die Wunde legt: Arabische Medien berichteten Anfang September, Riad plane die Finanzierung von allein 200 Moscheen in Deutschland – für die muslimischen Migranten, die aus dem Nahen Osten nach Europa strömen. Die saudische König-Fahd-Akademie in Bonn gilt als Anziehungspunkt für Salafisten und macht immer wieder durch radikale Vorfälle von sich reden, die deutschen Behörden schauen weg und ignorieren das Problem.

Scharfe Kritik übt Borudscherdi an der Rolle der USA. Washington würde entgegen seinen Verlautbarungen nichts dafür tun, den IS zu bekämpfen. In Syrien würden die USA weiterhin die so genannte „bewaffnete Opposition“ in ihrem militärischen Kampf gegen Damaskus unterstützen. Der einzige Akteur, der derzeit dem IS wirklich die Stirn biete, sei die syrische Armee. Wer dem Terror begegnen wolle, müsse Damaskus unterstützen. Borudscherdi ist es wichtig zu betonen, daß auch der Iran, der die syrische Regierung unter Präsident Baschar al-Assad unterstützt, alle Mittel zum Kampf gegen den IS mobilisiert.

Borudscherdi spart auch nicht mit Kritik an der Türkei: Ankara habe viele Fehler in der Terrorismusbekämpfung gemacht. „Die Türkei ist heute ein Durchmarschgebiet für Terroristen, die nach Syrien reisen wollen.“ Alaeddin Borudscherdi wägt seine Worte stets sehr genau ab. Er weiß, daß durch die Sanktionspolitik und die Konfrontationen der Vergangenheit viel Geschirr zerschlagen wurde. Borudscherdi läßt keinen Zweifel daran, daß er über die europäischen Befindlichkeiten bestens Bescheid weiß – aber eben auch die iranischen Sicherheitsinteressen berücksichtigt sehen möchte. Borudscherdi fordert die Europäer stets auf, endlich die Unterstützung von Terrororganisationen – wie etwa dem sogenannten „Volksmudschaheddin“ im Iran – zu unterlassen und diese statt dessen wieder auf die EU-Terrorliste einzutragen. 2008 wurde die Terrororganisation von der Liste ausgetragen, ein Jahr zuvor hatte die US-Regierung eine Direktive an die CIA gegeben, Terrorgruppen wie die Volksmudschaheddin zu unterstützen, um in Teheran einen Regimewechsel herbeizuführen. Solche Dinge stehen einer Normalisierung und einem Dialog auf Augenhöhe im Weg. (Alessandro Sansoni)

Bildquelle: AFP Photo/Louai Beshara

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