„Monopol-Traditionsstifter“ – Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof erklärt im ZUERST!-Gespräch

9. März 2018
„Monopol-Traditionsstifter“ – Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof erklärt im ZUERST!-Gespräch
National
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Foto: Symbolbild

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen will einen neuen Traditionserlaß für die Bundeswehr. Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof erklärt im ZUERST!-Gespräch, warum er den neuen Entwurf für den Erlaß alles andere als gut findet.

Herr Schultze-Rhonhof, seit November ist ein Entwurf für einen neuen Traditionserlaß der Bundeswehr im Umlauf. Warum braucht es überhaupt einen neuen Erlaß?

Schultze-Rhonhof: Ein neuer Traditionserlaß nach dem von 1982 ist überfällig, weil sich dessen Bezugsgrößen schon lange grundsätzlich verändert haben. So ist ein Entwurf für einen neuen seit November 2017 in Umlauf. Traditionen sind von Generation zu Generation überlieferte Verhaltensweisen, Ideen und Kulturen. Deutsche Armeen und ihre Geschichte gibt es, solange es deutsche Staatlichkeit auf deutschem Boden gibt. Dabei waren alle deutschen Armeen in ihrer Zeit an ihre Staatsherrschaft gebunden und an deren politische Systeme und Verfassungen.

Worauf fußen die Traditionen der Bundeswehr?

Schultze-Rhonhof: Drei politische Traditionen deutscher Streitkräfte von jeher sind Staatstreue, Verfassungstreue und die Anerkennung des Primats der Politik. Wenn allerdings – wie im neuen Entwurf geschehen – die Verfassungsdienlichkeit zur heutigen Verfassung mit „Alleinvertretungsanspruch“ ausgestattet wird, wird sie zur Falle für alle anderen militärischen Traditionen. Der neue Erlaßentwurf schneidet fast alle Traditionen der Bundeswehr de facto 1956 ab und erhebt sie zum Monopol-Traditionsstifter für sich selbst.

Heißt das, deutsche Soldaten vor 1956 haben aus Sicht der Bundesregierung im Prinzip alles „falsch“ gemacht?

Schultze-Rhonhof: Daß deutsche Soldaten und Verbände ihre Aufgaben in ihren Epochen nach den damaligen Regeln und Gesetzen erfüllt haben, wertet sie an sich nicht ab, es sei denn, daß sie dabei aus heutiger Sicht Unwürdiges oder Verbrechen begangen hätten. So gibt es keinen Grund, einzelne Soldaten, Verbände oder militärische Ereignisse der Vergangenheit aus der Tradition der Bundeswehr auszuschließen, nur weil sie nicht dem Kontext des Grundgesetzes entsprechen. Auch heute dienen die Soldaten treu und dem Primat der Politik folgend, auch wenn ihnen klar ist, daß mancher Befehl nichts mit dem Grundgesetz zu tun hat. Die Soldaten des Heeres folgen politischen Aufträgen, obwohl die meisten wissen, daß Volk und Heimat nicht am Hindukusch verteidigt werden, und die Soldaten der Marine folgen politischen Aufträgen, obwohl die meisten wissen, daß sie zu Schlepper-Diensten auf dem Mittelmeer mißbraucht werden. Das ist und war schon immer die Kehrseite der Treuepflicht der Soldaten gegenüber ihren Dienstherren. Ein Überbewerten von modernen Verfassungszielen verbunden mit einer Unterbewertung von Berufszielen und einer durchgehenden Ächtung früherer Soldatengenerationen ergibt ein politisches Bekenntnis zur politischen Moderne, aber kein geistiges Rüstzeug für eine Armee. Den Wert der Traditionen der Bundeswehr allein nach ihrer Verfassungsdienlichkeit zu beurteilen, ist so, als wollte man eine Menge fließenden Wassers mit einem Zollstock messen.

Worum geht es den Verfassern des Entwurfs für den neuen Traditionserlaß eigentlich?

Schultze-Rhonhof: Der neue Erlaßentwurf ist einer über die „politischen Auflagen“ und keiner für die „militärischen Traditionen der Bundeswehr“. Er taugt, wie sein Vorgänger, für den Exorzismus in der Truppe, aber nicht zu deren Inspiration und Motivierung. Ich empfehle dringend, zwischen politischen Traditionen, zum Beispiel in einem Vorwort des Erlasses, und militärischen Traditionen, zum Beispiel im Hauptteil des Erlasses, zu unterscheiden und letztere mit „Fleisch zu füllen“.

Was kritisieren Sie konkret?

Schultze-Rhonhof: Eine Reihe von Einzelformulierungen im Erlaßentwurf sind halb wahr, ganz falsch oder hohle Phrasen. Sie entwerten den Erlaß. Der neue Entwurf enthält schon am Anfang, wie der alte Erlaß, ein paar Sätze, die durch die weiteren Ausführungen zu hohlen Phrasen werden: Zum Beispiel: „Tradition verbindet die Generationen.“ Die Ablehnung fast jeder Art von Tradition zu Soldaten, Truppen, und Armeen vor 1945 und deren De-facto-Ächtung im Folgetext sind das Gegenteil davon. Oder der Satz: „Tradition schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.“ Dem Gedanken des Brückenschlags folgend, gehören zum Beispiel die Reichswehr und die Wehrmacht als Übermittlerinnen von Werten, Tugenden, Berufserfahrungen und Berufseigentümlichkeiten aus fast 300 Jahren deutscher Militärgeschichte an die Bundeswehr mit in deren Traditionslinien. Sie haben die Brücke in die Epochen vor der Weimarer Republik und dem Dritten Reich geschlagen.

Weitere Punkte?

Schultze-Rhonhof: (…)

Sie meinen, der Entwurf fällt sozusagen ein „Kollektivurteil“ über die gesamte Wehrmacht?

Schultze-Rhonhof: So ist es. Der Entwurf erwähnt zwar zu Recht auch die schuldhafte Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des NS-Regimes. Die schuldhafte Verstrickung in Verbrechen stimmt. Aus einer „Verstrickung“ ein Kollektivurteil zu münzen und damit der Wehrmacht insgesamt die Ehre abzuschneiden, kommt einer Kollektivstrafe gleich, die es in unserem Rechtssystem nicht geben sollte. Es ist nicht angemessen, diese „Verstrickung“ kollektiv allen Angehörigen und Truppen der deutschen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg anzulasten. Immerhin liegt der Anteil der von deutschen und Besatzungsgerichten nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute wegen Kriegsverbrechen rechtskräftig verurteilten Soldaten bei nur 0,05 Prozent des damaligen Gesamtbestandes. Es empfiehlt sich deshalb, einem neuen Traditionserlaß in dieser Hinsicht die Schärfe der Verurteilung zu nehmen. Dahingegen gibt die Kriegsgeschichte der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg auch eine lange Reihe von Beispielen ritterlichen Han­delns und Betragens von deutschen Soldaten und Dienststellen in den Gefechten und als „Sieger“ in Polen, Frankreich, Griechenland, Rußland und auf dem Atlantik her. Solche Bei­spiele hat die Bundeswehr als vorgesehener Monopol-Traditionsgeber in ihrer Geschichte nicht zu bieten. Wer das als „Nazi-Propaganda“ abtut, sollte einmal eine Zeitlang lesend im Archiv des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Genf zubringen.

Dennoch sind die Bundesregierung und die Bundeswehrführung heute offen­sichtlich von der „Einzigartigkeit“ der Verbrechen der Wehrmacht überzeugt…

Schultze-Rhonhof: Die Formulierung von „Verbrechen, die in ihrem Aus­maß, in ihrem Schrecken und im Grad ihrer staatlichen Organisation einzig­artig in der Geschichte sind“, mag gän­gigem „Volkswissen“ entsprechen. Sie ist dennoch schlichtweg falsch. Da die Formulierung auf die „Geschichte“ bezogen ist und nicht auf einen kur­zen Zeitraum deutscher Geschichte, unterschlägt sie die staatlich verursachten Verbrechen mit Millionen von Toten in der überschaubaren Ver­gangenheit.

Zum Beispiel?

Schultze-Rhonhof: (…)

Im Entwurf zum neuen Traditionserlaß heißt es zu Beginn: „Traditionspflege ermöglicht das Bewahren von Vorbil­dern.“ Ermöglicht eine solche Formulie­rung nicht etwas mehr Offenheit?

Schultze-Rhonhof: Dieser scheinbaren Offenheit folgt aber bald schon der Wi­derruf. Dort heißt es: „Historische Bei­spiele für zeitlos gültige Tugenden, etwa Tapferkeit, Ritterlichkeit […], können in der Bundeswehr Anerkennung fin­den. Sie sind jedoch immer im histori­schen Zusammenhang zu bewerten und nicht zu trennen von den politischen Zielen, denen sie dienten.“ Somit ist auch auf diesem Feld die Tradition der Bundeswehr mit 1956 abgeschnitten. Damit fallen frühere Soldaten wie der Reitergeneral Friedrich Wilhelm von Seydlitz, die Generalstabsoffiziere Graf August Neidhardt von Gneisenau und Graf Helmuth von Moltke der Ältere, die Fliegeroffiziere Manfred von Richt­hofen und Hans-Joachim Marseille und Marschall Manfred Rommel durch den Rost. Die Bundeswehr hat vergleichbare Vorbilder in ihrer eige­nen Geschichte nicht hervorgebracht. Der motivierende und selbsterzieheri­sche Wert von historischen Berufsvorbildern würde damit vor allem für jüngere Berufssoldaten, die noch ihre „Selbstvergewisserung“ und ihre „Identifikation“ suchen, verboten und verbaut. Durch die Einschränkung würde ein neuer Erlaß zum Traditions-Verhinderungs-Erlaß. Im Fehlen der Vorbildrolle in der Traditionspflege liegt der gravierendste Mangel des Ent­wurfs für einen neuen Traditionserlaß.

 Welche anderen Mängel am Ent­wurf sehen Sie noch?

Schultze-Rhon­hof: Ein weiterer gravierender Man­gel ist jegliches Fehlen der Erwäh­nung des „natio­nalen Bewußt­seins“. Letzterem war im ersten Vorgängererlaß von 1965 noch ein eigener Absatz ge­widmet. Die west­deutsche Regierungspolitik war bis zur Wiedervereinigung sowohl in Europa als auch in der atlantischen Verbindung angemes­sen verwoben, und sie hat dabei deut­sche Interessen angemessen vertreten. Danach war sie unter „christlichen“ Regierungen europazentriert und er­kennbar bemüht, Deutschland als Teil in einem Gesamtstaat EU aufgehen zu lassen. Dementsprechend hat sich die Bundeswehr angepaßt. In den Bun­deswehr-Veröffentlichungen ist seit­her keine Rede mehr von der „deut­schen Nation“. Statt dessen stehen Multinationalität, Inklusion, Vielfalt und die mögliche Aufnahme von Aus­ländern im Vordergrund der Selbst­darstellung. Hier wiederholt die Bun­deswehr den fatalen Fehler Stalins, der zunächst geglaubt hat, mit einer inter­nationalistischen und ideologisch aus­gerichteten Armee Krieg führen zu können. Als der Sowjetunion das deutsche Messer am Hals lag, „erfand“ er den „Großen Vaterländischen Krieg“ und mobilisierte damit die Kräfte, die noch im deutschen Traditionserlaß von 1965 beschworen worden sind.

Was wäre zu tun?

Schultze-Rhonhof: Ein neuer Traditionserlaß muß hier die inzwischen klaffende Lücke wieder schließen. Ein Erlaß für Soldaten darf nicht nur das „Tagesgeschäft“ der Auslandseinsätze bedenken. Er muß auch das Urmotiv der Staatsbürger in Uniform beleben, notfalls für die eigene Nation, den ei­genen Staat und die eigene Heimat zu kämpfen. Die zunehmende internatio­nale Verflechtung der Bundeswehr sollte nicht zu einer mentalen Entnationalisierung ihrer deutschen An­teile führen und nicht den derzeitigen Trend der deutschen Politik der eigenen Entnationalisierung widerspie­geln. Ein neuer Erlaß in der vorgeschlagenen Form zeigt vor allem die Grenzen der politisch erlaubten Traditionspflege und weniger das sinnvol­le Spektrum sinnvermittelnder Militärtraditionen. Er wäre nicht dazu geeig­net, den Soldaten der Bundeswehr eine militärische Corporate Identity zu ge­ben.

Herr Schultze-Rhonhof, vielen Dank für das Gespräch.

Generalmajor a.D. Gerd Schultze-Rhonhof, geboren 1939 in Weimar, trat 1959 in die Streitkräfte. Zuletzt war er Befehlshaber des Wehrbereichskommandos II und Kommandeur der 1. Panzerdivision. Im März 1996 schied er auf eigenen Wunsch vorzeitig aus dem Dienst aus. Zuvor hatte er öffentlich das Bundesverfassungsgericht wegen dessen „Soldaten sind Mörder“-Urteilen (1994/95) kritisiert. Sein Buch 1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte, in erster Auflage 2003 erschienen, ist ein Standardwerk über die diplomatischen Verhandlungen am Vorabend des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges. Schultze-Rhonhof ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er lebt in Haldensleben.

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3 Kommentare

  1. Hermann1 sagt:

    Wenn man sich das Bild oben ansieht, weiß man genau, was die Bundeswehr für ein Kasperletheater ist.
    Wie will der Typ mit so einer Matte im Gesicht, bei einem Angriff mit chem. oder biolog. Waffen seine Maske dicht über den Kopf ziehen?

  2. Pack sagt:

    Kann man Tradition verfügen?
    Haut man der Tradition gerade mit solchen erzwungenen Festlegungen nicht die Beine weg? Alle 20 Jahre ein neuer Erlaß, eine neue Richtung?
    Das bestätigt doch regelrech den Spruch: „Lügen haben kurze Beine!“
    Ich habe mein Geschichtsbild und nur Argumente können es beeinflussen, wie z.B. die von Schultze-Rohnhof!
    Ich bin kein Freund des Militärs, aber seiner Version könnte ich folgen!

  3. Belsazar sagt:

    Der Mann weiß, wovon er spricht. Ob Frau von der Leyen es auch weiß wage ich zu bezweifeln.

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