Die letzte Hoffnung: Vor 75 Jahren scheiterte der Versuch der 6. Armee, den Kessel von Stalingrad aufzubrechen

10. Februar 2018
Die letzte Hoffnung: Vor 75 Jahren scheiterte der Versuch der 6. Armee, den Kessel von Stalingrad aufzubrechen
Geschichte
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Foto: Symbolbild

Im Dezember 1942 hielten der Winter und die Russen die in Stalingrad ein­geschlossene 6. Armee bereits seit ei­nem Monat in eisiger Umklammerung. Hier, an der Wolga, schürzte sich das Schicksal in jenen Wochen zu einer der größten Tragödien des 20. Jahrhun­derts.

Das Unheil war jäh heraufgezogen, obschon es an warnenden Kassandra-Stimmen nicht gefehlt hatte. Den Som­mer über, den ganzen August und Sep­tember, war der Südflügel der deutschen Ostfront in zwei mächtigen Keilen in das riesige Areal jenseits des Don hineingestoßen, weitausgreifend in den gewaltigen Raum, der weit im Südosten vom Kaspischen Meer und im Süden von den hochaufragenden Ketten des Kaukasus begrenzt wird. Astrachan, der wichtige Umschlaghafen an der Wolgamündung, war eines der Ziele, ein anderes, noch ehrgeizigeres waren Baku und die Ölfelder im Süden. Schon preschten deut­sche Aufklärungsspitzen bis an den Te­rek vor, hatten deutsche Gebirgsjäger in einem kühnen alpinistischen Hand­streich den 5.629 Meter hohen Elbrus­gipfel bezwungen.

Am 23. August waren die ersten deut­schen Panzerspitzen in Stalingrad am Wolga-Knick eingerollt und stießen wei­ter auf den Strom vor, zunächst fast ge­spenstisch reibungslos – keine verbun­kerten Stellungen, aus denen den deut­schen Grenadieren wütendes Abwehr­feuer entgegenschlug, keine Verteidungs­anlagen, nur schmutzige, kleine Vor­stadthäuser. Aber in den Tagen und Wochen darauf hatten sich die Sowjets gefangen – der weitere Vorstoß zur Wol­ga muß nun durch zähe, verlustreiche Kämpfe erkauft werden.

Nur unter größten Opfern gelingt es, die überall in den Ruinen verschanzten Sowjets zurückzudrängen. Hitler mahnt zur Eile. Er hat in der „Weisung Nr. 41“ als Hauptziel des Sommerfeldzuges 1942 nicht die Einnahme von Stalingrad, son­dern die Inbesitznahme des Kaukasus mit seinen Erdölgebieten ausgegeben. Die Stadt an der Wolga, die Stalins Na­men trägt, hat für ihn keine strategische Priorität, weshalb auch die Kräfte, die jetzt für ihre Eroberung angesetzt sind, viel zu gering sind. Der Kampf um die Stadt artet zu blutigen, unglaublich ver­lustreichen Grabenkämpfen um zerstör­te Fabrikhallen und befestigte Keller aus.

(…)

In der gleichen Nacht landen, ein böses Omen, die Amerikaner in Nordafrika – während an der Wolga immer noch gekämpft wird. Inzwischen ist in den deutschen Stäben der Rausch des Vormarsches längst verflogen. Allent­halben sind die Linien überdehnt. Weit unten am Kaukasus liegen die deut­schen Panzer ohne Treibstoff, der über die riesigen Entfernungen nur mühsam nachgeführt werden kann. Überall wird die endlos lange Front nur von schwa­chen deutschen Kräften gehalten, die durch italienische und rumänische Ein­heiten nur scheinbar verstärkt werden.

Dann, am 19. November, der Pauken­schlag: Nordwestlich des immer noch umkämpften Stalingrad bricht die sowje­tische Südwestfront nach mörderischem Artilleriefeuer mit vier Armeen und einem Panzerkorps durch die Frontabschnitte der verbündeten Rumänen. Einen Tag später gelingt der Durchbruch auch an der Südflanke. Schon am 23. No­vember vereinigen sich die nördlichen und südlichen Angriffskeile der Russen bei Kalatsch weit im Westen. Der Kessel ist zu. Hastig befiehlt General Friedrich Paulus, alle Angriffsoperationen in der Stadt abzubrechen und gegen Westen und Norden eine Widerstandslinie zu improvisieren.

Er bespricht sich mit allen Generalen der ihm unterstellten Armeekorps. Alle sind der gleichen Meinung – die So­wjets werden binnen Kürze im Rücken der 6. Armee, zwischen Stalingrad und dem deutschen Hinterland, noch stär­ker werden. Es gibt nur einen Ausweg: in Richtung Südwesten auszubrechen, die Verbindung mit den dort stehenden Kräften zu suchen – und zwar so schnell wie möglich.

Paulus bittet in einem Funkspruch Hitler um Handlungsfreiheit. Statt ei­ner Antwort kommt die Meldung, daß General Erich von Manstein zum neuen Oberbefehlshaber (OB) der Heeres­gruppe ernannt worden ist. Manstein hat einen großen Ruf als genialer Stra­tege und Sieger von Sewastopol. Bei den Eingeschlossenen hält sich zunächst die Hoffnung, daß Manstein die Umklam­merung der Sowjets aufbrechen werde.

Auch Hitler ist davon zu diesem Zeitpunkt noch fest überzeugt. Zumal ihm Luftwaffenchef Hermann Göring versichert, daß die Luftwaffe in der Lage sein werde, die Versorgung Stalingrads mit Munition und Verpflegung sicher­zustellen. Also läßt Hitler Paulus per Funk antworten: „Die Armee darf über­zeugt sein, daß ich alles tun werde, um sie entsprechend zu versorgen und rechtzeitig zu entsetzen. Ich kenne die tapfere 6. Armee und ihren OB und weiß, daß sie ihre Pflicht tun werden.

Bei dieser Befehlslage bleibt es. Rasch stellt sich heraus, daß der Nachschub aus der Luft weit hinter dem Benötigten zu­rückbleibt, zumal Kälte und schlechtes Wetter einsetzen und Flugunfälle mehr Opfer fordern als der Feind. Um so dringlicher wird ein Ausbruch aus dem Kessel. Paulus fertigt dazu sogar eine umfangreiche Denkschrift für das Füh­rerhauptquartier an. Doch Hitler verbietet den Ausbruch.

Manstein und seine Stäbe brüten währenddessen fieberhaft über der Vor­bereitung eines Entsatzangriffs, der den Kessel von Westen aufbrechen soll. Deckname: „Wintergewitter“. Im Kessel stehen Teile von zwei motorisierten Divisionen und einer Panzerdivision bereit, um der sich von Westen unter Führung von Generaloberst Hermann Hoth herankämpfenden 4. Panzerarmee („Gruppe Hoth“) entgegenzustürmen. Hundert Kilometer liegen zwischen Hoth und der 6. Armee.

„Wintergewitter“ wird für den 22. Dezember ins Auge gefaßt. Hoth ist inzwischen auf 50 Kilometer herangekommen. Im Kessel weiß man, daß die Kräfte für den Ausbruchsversuch mit jedem Tag weniger werden, aber die Zuversicht ist groß.

Da macht, verhängnisvoll, tödlich, ein weiterer Paukenschlag alle Pläne zu­nichte: Am 16. Dezember starten die So­wjets am mittleren Don, diesmal bei den Italienern, mit drei Armeen zu einem neuerlichen Großangriff. Die Italiener werden beim ersten Anprall pulverisiert. Schon bedrohen die Russen Rostow und damit die gesamte Heeresgruppe. Jetzt ist die Gefahr nicht mehr die

Einschlie­ßung von 200.000 oder 300.000 Mann, sondern ein Super-Stalingrad mit ein­einhalb Millionen. Manstein hat keine andere Wahl, als Hoth zu befehlen, eine seiner drei Panzerdivisionen sofort nach Westen zu werfen. In den Stäben zeich­net sich eine grausame Konsequenz ab: Die 6. Armee muß geopfert werden, um die Heeresgruppe zu retten.

Damit ist das Schicksal des Kessels besiegelt. Die Hoffnung auf Rettung hat sich jäh zerschlagen. An Weihnachten ist es gewiß, daß es keinen Ausbruch und keinen Entsatz geben wird. Der grausame Todeskampf der 6. Armee wird noch fünf Wochen währen.

Xaver Warncke

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4 Kommentare

  1. Gerhrad Speer sagt:

    Die deutsche Wehrmacht hätte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften im Frühjahr 1942 nach Moskau vorstoßen und Moskau nehmen sollen. Damit wäre das Machtzentrum Stalins unter Kontrolle. Die Heeresgruppe Süd hätte man später und in aller Ruhe aufbauen können, um an die kaukasischen Ölfelder zu gelangen. Stalingrad war von Anfang an ein strategisches und militärisches Desaster, welches der Führer zu verantworten hatte.

    • ALI BABA sagt:

      Ehe die Wehrmacht Moskau genommen haette, waere das Machtzentrum Stalins ein paar Wochen vorher irgendwo in der Naehe Urals. gewesen !!! Die Russen waren auch auf solche Variante vorbereitet…Fuer die Russen war dieser Krieg SEIN ODER NICHTSEIN..! DESHALB WAREN SIE UNBESIEGBAR…

  2. Schieferdecker sagt:

    Was hatten die Deutschen eigentlich in Stalingrad verloren?

    • Wolfsrabe sagt:

      Steht doch im Artikelausschnitt! Genau lesen und am besten die ZUERST als Zeitschrift kaufen, um den kompletten Artikel zu lesen! 😉

      Seit es die ZUERST gibt, kann man wieder guten Gewissens Geschichte lernen, ohne deutschfeindliche Geschichtsverbiegungen befürchten zu müssen.

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